PflanzToleranz 2020Vor 82 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10.11.1938, wurden in Lünen Siegmund Kniebel, Albert Bruch und Waldemar Elsoffer von Nationalsozialisten wegen ihrer jüdischen Abstammung ermordet; viele weitere Juden wurden terrorisiert und vertrieben. Der Lüner Bernhard Samson starb an den Folgen der Misshandlungen.

Um gegen das Vergessen dieser Taten anzugehen, hat Martin Loer seit über 25 Jahren mit seinen Schülerinnen und Schüler den Gedenktag des 9. Novembers genutzt, um darauf aufmerksam zu machen. Damit blickt das FSG auf viele Jahre der Erinnerungstradition zurück. Im folgenden Interview mit Martin Loer finden sich daher die Berichte eigener Erfahrungen sowie einige Einschätzungen und Denkanstöße für die Zukunft – von einem Lehrer, der am FSG für sein tatkräftiges Engagement im Bereich der Toleranz und das respektvolle Miteinander bekannt ist.

Ich hatte als Lehrer immer das Gefühl, wenn ich mit den Schülern etwas zum Thema Nationalsozialismus machen wollte, dass es so weit weg war. Da sind Dinge irgendwo in den Großstädten, wie z.B. Berlin usw. passiert.

Aber dann ist mir klar geworden, dass die Lippebrücke, welche jeder Schüler als einen schönen, friedlichen Ort in Lünen kennt, mal ein ganz brutaler Ort gewesen ist. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Lünen eine der wenigen deutschen Städte ist, in der während der Reichspogromnacht tatsächlich Menschen ermordet wurden. Daher kam der Gedanke, dass diese Brücke einen konkreten Ansatzpunkt darstellt.

Weil ich immer das `Gespür` hatte, dass Toleranz ein Prozess ist.

Die eigene Erfahrung hat mir gezeigt: Man muss sich immer wieder darüber klar werden, wie das dynamische Zusammenleben zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen möglich ist. Vor allem, wenn man bedenkt, dass das FSG, als ein städtisches Gymnasium, ein Ort der Begegnung vieler verschiedener Kulturen und Religionen ist. Wegen dieses dynamischen Prozesses war es auch nie langweilig.

Darüber hinaus gab es leider in den unterschiedlichen Jahren immer wieder Vorfälle mit judenfeindlichem Hintergrund. Darauf haben wir auch oft Bezug genommen und Gegenstatements gesetzt.

Das ist natürlich sehr vielfältig. Aber ich erinnere mich besonders gerne an die Male, wenn die Aktion so lange dauerte, bis es dunkel wurde. Denn dann ist der Kerzenschein nochmal besonders zur Geltung gekommen. Die Kerzen, die wir am Bürgersteig als Hoffnungsträger aufgestellt hatten, wurden dann noch mehr zum Blickfang und haben die Aufmerksamkeit der Passanten erregt. Das war immer ein starkes Gefühl für die Schüler und mich.

Einmal hatten wir auch eine Schmetterlingsaktion. Der Ansatzpunkt dazu waren die Holzhütten bzw. Unterbringungen der Gefangenen in Auschwitz: Viele Menschen, die wussten, dass sie sterben, haben Schmetterlinge als Symbol dafür, dass sie nicht ohne Gott sterben, in die Wände geritzt. Diese Aktion hat bei mir auch besondere Gefühle ausgelöst.

Ja, weil die Projekte immer so aufgebaut waren, dass sie den Schülern die Möglichkeit gaben, sich selbst einzubringen und zu reflektieren – und das bis in die Gegenwart.

Denn man musste sich im Voraus einerseits fragen, warum es früher diese Brutalität und Intoleranz gab, sich dann aber auch damit beschäftigen, was man selbst tun kann, um nicht so zu sein, oder sogar damit, weshalb Toleranz wichtig ist, d.h. der zentralen Punkt war, die Erinnerungsaktionen produktiv zu gestalten, zu fragen „Finden wir Vielfalt wirklich so gut?“ und aktiv zu dem Schluss zu kommen „Ja! Wir finden Vielfalt besser.“

Auch wenn man als Verantwortlicher immer vorsichtig bei solchen Aussagen bleiben möchte, glaube ich, ja. Ich denke die KollegInnen und SuS haben die Aktion als gewissen Eckpfeiler während des Schuljahres wahrgenommen. Es sind jedes Jahr viele Klassen und Kurse mitgegangen und haben an der Aktion teilgenommen. Und die Leute, die direkt am Projekt beteiligt waren, haben mit Sicherheit sowieso etwas davon mitgenommen.

Außerdem schafft das Miterleben eine besondere Verankerung im Kopf; das Umsetzen der eigenen Ideen ist dafür wichtig, denn „indem sie es selbst taten, kapierten sie auf einmal auch viel mehr“.

Ja das stimmt. Was bleibt, sind die Mahnmale. Wenn ich dorthin gehe, kann ich mir immer wieder Dokumente anschauen, beschreiben und erklären, was gute Ansatzpunkte für uns Lehrer bietet.

Dass die Aktion von Schülern selbst organisiert wird und sie nicht nur teilnehmen, lässt die Hoffnung zu, dass sie davon nachhaltig geprägt werden.

„Man schmeißt einen Stein ins Wasser und dieser schlägt Wellen. Das ist schön.“

Besonders gefreut hat mich zudem immer, dass sich auch die muslimischen Schüler an den Aktionen beteiligt haben, gerade weil es sich bei unserer Schule um ein Stadtgymnasium handelt, wo sich alle Gruppen treffen. 

Auch hier möchte ich vorsichtig mit der Antwort sein. Natürlich war es immer wichtig solche Aktionen zu machen, also Menschen auf Frieden, Toleranz und Menschenwürde hinzuweisen.

Jedoch wird die Bewältigung der Probleme, die wir haben, nicht einfacher. Man muss aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr spalten lassen. Vor allem, wenn Menschen in Machtpositionen (z.B. der ehemalige Präsident der USA) hinsichtlich dessen mit schlechtem Beispiel vorangehen. Streitkultur ist für eine Demokratie natürlich extrem wichtig, aber genauso eben auch das aufeinander Zugehen und Kompromissfähigkeit. Als Religions- und Pädagogiklehrer habe ich insofern also auch immer die politischen Entwicklungen beobachtet, die natürlich das gesellschaftliche Gefüge beeinflussen.

Ich finde es toll, dass dieses Motto beibehalten wird. Toleranz ist nie `fertig`. Wenn man etwas pflanzt, muss man dann auch etwas tun, damit es wächst. `Pflanz Toleranz` symbolisiert so perfekt die bereits genannte Dynamik. Daher spiegelt das Motto für mich den Gedanken, `dran zu bleiben`, wider. Das kann man sowohl im Familienkreis, als auch am Stein umsetzen. Leider kann es überall Ungerechtigkeiten geben. Ein relativ verbreitetes Beispiel wäre Mobbing. Da kann man sich immer überlegen: Schweige ich? Oder greife ich ein? Man kann ganz klein anfangen. Dieses selbständige Handeln steckt in dem Motto mit drin.

Unterschiedlichste Schülergenerationen sollen immer wieder mit neuen Ideen das Gedenken am Leben halten. Die Erinnerungsarbeit sollte kreativ und produktiv bleiben – vor allem die Schüler sollen sich selbst mit einbringen, dann hat das Ganze noch einen Mehrwert!