Alles begann am Abend des 21.05.2008.
Die Kinder der Klasse 6b trafen gegen 19 Uhr in der Schule ein, wo sie bereits von den Lehramtsanwärter/innen Rusche, Schröder und Turek freudig in Empfang genommen wurden. Die Dekoration der zwei vorbereiteten Klassenräume zwei große Poster mit der Abbildung jeweils eines Geisterhauses, ein schwarzes Riesenspinnennetz an der Wand sowie ein bewegliches, im Dunkeln leuchtendes (Plastik-) Skelett stimmte die Sechstklässlerinnen bereits auf die Thematik des Abends ein: eine englische Gruselnacht. Diese Atmosphäre wurde zusätzlich untermalt durch Nacht- bzw. Gruselgeräusche, wie z.B. das Bellen eines Hundes, Miauen einer Katze, Knarren einer Tür, das furchteinflößende Gelächter eines GEISTES etc.
Nach der Begrüßung wurde ganz gemütlich im Stuhlkreis zu Abend gegessen, wobei die Kinder Proviant für sich und andere mitgebracht hatten. Sie stärkten sich also mit Würstchen, Brötchen und Broten, Salaten und Getränken…
Plötzlich erschraken die Kinder über einen neuen, furchterregenden Gast: Frau Rusche hatte sich unbemerkt eine gruselige Maske aufgesetzt (das Gesicht ganz weiß und faltig, die Augen rot unterlaufen, vier vorstehende Zähne…) Hierbei konnte es sich nur um einen Untoten oder einen Geist handeln, ein Geist namens Henry. Die Kinder entwickelten gemeinsam eine Geschichte zum (Vor-) Leben dieses Untoten: “Henry died a long time ago. But he cannot rest in peace. Every night he walks around in town and...“ Je nachdem, wer von den Mädchen und Jungen gerade eine Idee hatte, setzte die Geschichte fort. Daraufhin waren die Kinder motiviert, weitere Gruselgeschichten auf Englisch kennen zu lernen. Sie hatten sich bereits im Voraus eine von drei Lektüren ausgewählt. Bevor sich die Kinder jedoch mit den Lektüren zurückzogen, eröffnete Frau Rusche den Lesewettbewerb mit anschließender Preisverleihung für die „Leseratte“ des Abends (für die Person, die die meisten Bücher lesen würde). Dadurch wurden die Kinder zum Lesen angespornt.
Der weitere Ablauf der Lesenacht sah folgendermaßen aus: Individuelles Lesen, Pause von einer halben Stunde zum Bewegen und Austoben (21 Uhr), kreatives „Arbeiten“ in (Klein-)Gruppen, abschließende Präsentation und Evaluation der Ergebnisse und Nachtruhe ab Mitternacht. Angesichts der sommerlichen Temperaturen nutzten viele Kinder die Möglichkeit, auf dem Schulhof in der Abendsonne ihrem individuellen Lesetempo und Leseinteresse entsprechend zu lesen.
Nach der Pause vertieften die Schüler/innen das Gelesene in kreativer Erarbeitung, wobei sie jeweils auf eine der gelesenen Lektüren Bezug nahmen. Auffällig war, dass alle Kinder „Produkte“ mit Bezugnahme auf das Buch The Ghost of Tilly Turner erstellten. Die Handlung des Buches beschreibt die Aufdeckung eines langgehüteten Geheimnisses. Es beginnt damit, dass der 14 jährige Josh aus London eines Tages als einziger den Geist Tilly Turners - in Gestalt eines Mädchens - sehen kann. Warum kann nur er den Geist sehen? Tilly möchte Josh etwas mitteilen und führt ihn auf einen Friedhof…
Bei der kreativen Erarbeitung war den Kindern die Wahl der Methode und des Mediums (Materialien) freigestellt. So entstanden sehr interessante und unterschiedliche „Produkte“: Zwei Mädchengruppen bastelten bzw. malten jeweils ein Poster mit der Darstellung der „Friedhofsszene“ und anhand der „Tafel-Graffitis“, die zwei Jungengruppen mit farbiger Kreide erstellt hatten, konnte das Geheimnis der Geschichte weiter aufgedeckt werden. Eine weitere Mädchengruppe ergänzte fehlende Informationen im Text, indem sie den Mord an Tilly Turner (ein Geschehen aus der Vergangenheit) in Form einer Tanzchoreografie darstellten. Diese Performance wurde durch einen „ghost rap“ (Sprechgesang), der von vier Jungen eigenständig verfasst wurde, begleitet.
Bei der Präsentation dieser Produkte erhielten die jeweiligen Gruppen Lob, Kritik und gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge. Daraufhin schlugen die Mädchen und Jungen jeweils in getrennten (Klassen-)Räumen ihr Nachtlager(Schlafsack und Luftmatratze) auf. Die Lesenacht endete schließlich mit einem gemeinsamen Frühstück am Morgen, wobei der Gewinner des Lesewettbewerbs (ein Schüler hatte insgesamt 2,5 Lektüren gelesen) gekürt wurde. Er konnte sich aus vier englischen Lektüren (mit unterschiedlicher Thematik) eine auswählen.
Insgesamt bewerteten die Kinder die Lesenacht (per Evaluationsbogen) ausschließlich positiv. Sie bezeichneten die Lesenacht u. a. als „gut“, „aufregend“, „spannend“, „lustig“, „prima“, „cool“ und „gruselig“. Als Gründe nannten die Mädchen und Jungen die neue und spannende Erfahrung, nachts in der Schule zu sein und zu übernachten, den Spaßfaktor, die spannenden Bücher und das gemeinschaftliche Erlebnis: „weil wir mal wieder alle zusammen waren“. Außerdem würden von den 19 Schüler/innen, die an der Lesenacht teilgenommen haben, 17 nochmals an einer Lesenacht teilnehmen und die jeweils gelesene Lektüre weiterempfehlen.
Eine Schülerin fand die Lesenacht „toll“, da sie „in Ruhe lesen konnte“. Diese, sowie die folgende Aussage „ich lese nachts eigentlich gar nicht und dieses Mal war es spannend und aufregend“ lassen auf eine hohe Lesemotivation und ungestörtes Lesen schließen.
Aufgrund der geschilderten positiven Erfahrungen lässt sich sagen, dass die Lesenacht eine gute Handlungsoption zur Förderung der Lesemotivation darstellt, die allerdings durch weitere Maßnahmen - wie z.B. ein regelmäßiger Austausch über individuelle Leseerfahrungen in Kleingruppen (z.B. in Form von Buchkonferenzen) und die Integration von Phasen des stillen Lesens in den Unterricht - ergänzt werden sollte.
Von Christine Rusche (Studienreferendarin am FSG-Lünen)