Dobro pozalovat’ v FSG!

Vom 2. bis 16. März 1997 besuchte eine Schülergruppe der Schule 515 (Goethe-Schule) aus Sankt Petersburg das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium. Auf diesen fünften Schüleraustausch zwischen unseren Schulen, dessen zweiter Teil mit unserem Gegenbesuch im Herbst fortgesetzt wird, sind wir besonders stolz. Als uns im Herbst 1989 mitgeteilt wurde, daß wir auf Grund eines Abkommens zwischen Präsident Michail Gorbacev und Bundeskanzler Helmut Kohl eine Partnerschule in Sankt Petersburg?damals noch Leningrad?bekommen würden, konnten wir es kaum glauben. Nach Jahren der Abschottung der Sowjetunion, des Kalten Krieges, nach Jahren des Mißtrauens auf beiden Seiten sollte es plötzlich möglich sein, russische Jugendliche und ihre Lehrer zu uns einzuladen und im Gegenzug in ihren Familien zu wohnen, den Alltag dort mitzuerleben, die Schule zu besuchen. Diese Aussicht verschlug uns damals noch den Atem; heute können sich unsere Schüler kaum noch an diese Zeit erinnern. Während des ersten Besuches der russischen Gruppe bei uns existierte die DDR noch, war der Transit von Ost- nach Westberlin mit erheblichen organisatorischen Schwierigkeiten verbunden. In den folgenden Jahren schien der Austausch immer wieder gefährdet: die Sowjetunion löste sich auf, in Rußland kam es zu einer wirtschaftlichen und politischen Dauerkrise, die bis heute anhält und uns immer noch besorgt stimmt. Und dennoch: in all den Jahren wuchs unser Kontakt. Eine Reihe von »Steinis« war inzwischen in Leningrad bzw. Sankt Petersburg, einige haben dauerhafte private Kontakte entwickelt.

Ist der Austausch nun zu einer Selbstverständlichkeit geworden? Nicht ganz?immer noch müssen Schülerinnen und Schüler bereit sein, einen Gast für vierzehn Tage bei sich aufzunehmen, ihm die Schule und Lünen zu zeigen, für kurze Zeit das Leben mit ihm zu teilen. Das ist manchmal stressig (auch für die gesamte Familie), aber sicher lohnend, zumal ein Gegenbesuch in Sankt Petersburg folgen wird, einer einmaligen und einzigartigen Kulturmetropole. Unser Programm hier war angefüllt mit Besichtigungen in Lünen und der näheren Umgebung, mit Fahrten nach Bonn und Köln; aber auch den normalen Schulalltag haben wir gemeinsam erlebt. Vieles haben die zwölf Schülerinnen und der eine Schüler aus Sankt Petersburg gesehen und erfahren, manches war sicher ungewohnt?die mitunter lockere Disziplin im Unterricht, die durchaus nicht immer als positiv empfunden wurde, die relative Gleichgültigkeit vieler Schüler bei uns gegenüber ihren Zensuren. Umgekehrt wunderten sich unsere Schülerinnen, daß topmodische Kleidung, Fêten und Diskos für die russischen Gäste nicht unbedingt den gleichen Stellenwert haben wie für viele bei uns. So wurde jenseits von Schule und »normalem« Fachunterricht auf beiden Seiten eine Menge gelernt.

Allen am Austausch Beteiligten?Schülerinnen, Schülern, Eltern und Kollegen?sagen wir herzlichen Dank für ihr Engagement und ihre Unterstützung. Desgleichen danken wir nochmals dem Förderverein und dem Lions Club für alle finanzielle und ideelle Hilfe.

 

Hanna Scholle und Martin Haverkamp


In der Petersburger Zeitung Nevskoe Vremja war am 4. Oktober 1997 auf Seite 1 dies zu lesen:

Morgen ist der Tag des Lehrers

Verehrte Petersburger!

Am 5. Oktober begehen wir einen der wichtigsten Feiertage in unserem Leben?den Internationalen Tag des Lehrers!

Dies ist ein besonderer Feiertag. Jeder von uns ist mit ihm verbunden, weil wir zu unserer Zeit alle Schüler waren. Und jene, die Glück hatten, haben für immer ihre Erinnerung an die Schule, an ihre erste Lehrerin bewahrt.

“In jedem Menschen ist ein Mozart verborgen“, sagte Saint-Exupéry.

Die Lehrer nämlich bereichern uns nicht nur mit Wissen, sondern öffnen in uns unsere Fähigkeiten, helfen uns, uns selbst zu finden.

Es gibt keinen wichtigeren Beruf auf der Welt als den des Lehrers. In seinen Händen ist die heranwachsende Generation. Folglich die Zukunft. Und diese Zukunft hängt unmittelbar davon ab, welche Erziehung die junge Generation erfährt, welche Kenntnisse sie erwirbt.

Ungeachtet der Tatsache, daß unsere Schule im Augenblick nicht die allerbesten Zeiten durchlebt, bewahren die Lehrer die Treue zu ihrem Beruf und gehen jeden Morgen in die Klasse. Und setzen ihre edle Tat der Erziehung der Seele fort.

Unsere lieben Lehrmeister, Dank sei Ihnen gesagt für Ihre endlose Liebe, Ihre Wärme, Mühe und Geduld.

Von Generation zu Generation geben Sie die Staffette der Güte weiter, mit der die Herzen Ihrer Schüler erwärmt werden.

Wir wünschen Ihnen gute Gesundheit, Glück, Wohlergehen und liebenswerte Schüler, mit denen es immer ein Einverständnis geben rnöge.

Der Bürgermeister von Sankt-Petersburg, V. A. Jakovlev.

Diesen offenen Brief des Bürgermeisters von Sankt Petersburg an die Lehrerinnen und Lehrer der Stadt möchte ich unkommentiert meinem kurzen Bericht über unseren fünften Austausch mit der Goethe-Schule (Schule 5l5) voranstellen. Am 3. Oktober 1997 nahmen Herr Haverkamp und ich mit elf Schülerinnen an der Schulfeier zum Internationalen Tag des Lehres in unserer Partnerschule teil. Die Schülerinnen und Schüler aller Jahrgangsstufen der Schule boten »ihren« Lehrerinnen (es gibt an der Schule unter zirka 60 Unterrichtenden nur zwei Kollegen sowie den Schulleiter) ein buntes Programm, um sich bei ihnen für all ihre Mühe und ihren Einsatz in unruhigen Zeiten zu bedanken. Gleichzeitig war diese Feier jedoch auch unser Abschied von zwei Wochen Sankt Petersburg, die angefüllt waren mit dem Einleben in Petersburger Familien, dem langsamen Vertrautwerden mit ungewohnten Lebensumständen, mit einer Reihe von Unterrichtsstunden in unserer Partnerschule, dem Besuch einer Vielzahl von Museen und Schlössern. So besuchten wir unter anderem »natürlich« den Winterpalast mit der Ermitage, die Sommerresidenz in Pavlosvsk, die Peter-und-Pauls-Festung, gingen gemeinsam ins Ballett und machten einen Ausflug nach Novgorod. Besonderen Eindruck, denke ich, hinterließ aber auch der Besuch des Museums für Stadtgeschichte, in der wir die Abteilung über die Zeit der 900tägigen Blockade der Stadt im Zweiten Weltkrieg besichtigten und die nicht unbedingt zum »normalen« Programm deutscher Touristen gehört. Wir erkundeten die Stadt zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln und lernten, daß auch im überfülltesten Bus, der überfülltesten Straßenbahn fast immer noch Platz für eine deutsche Schülergruppe ist, wenn sie sich nicht abschrecken läßt und mutig mit drängelt. Unvergeßlich wird mir der Ausruf einer unserer Schülerinnen angesichts einer Metro sein, in der noch einige wenige Sitzplätze frei waren. »Boah, ey, die ist ja voll leer!«

Für mich war dies seit 1990 der fünfte Austausch, das heißt, die zehnte Begegnung mit den Kolleginnen der Goethe-Schule?Dank sei ihnen gesagt für ihre Zuverlässigkeit und ihre Freundschaft, aber auch dafür, daß sie mir durch die Begegnung mit ihrer Stadt, ihrer Geschichte, Politik und Kultur ermöglicht haben, vieles mit anderen Augen zu sehen und vertraute Standpunkte zu überdenken und zu relativieren.

Hanna Scholle


Schülerin Nina J. berichtet über die Fahrt nach Sankt Petersburg

Am Samstag, dem 20. September 1997, gegen 5 Uhr in der Früh, trafen wir?eine Gruppe noch nicht ausgeschlafener Russischschülerinnen ? uns auf dem Dortmunder Flughafen, um ins ferne Rußland zu fliegen. Natürlich kam unsere Russischlehrerin Frau Scholle mit; und Frau Haverkamp lieh uns ihren Herrn Haverkamp. Eltern und Freunde waren mitgekommen und harrten bis zum Abflug der Maschine um 7.30 Uhr aus. Nachdem wir in Amsterdam umgestiegen waren, erreichten wir gegen 15.15 Uhr Ortszeit (MEZ + 2 Stunden) Sankt Petersburg. Mit großem Hallo wurden wir von unseren russischen Freunden und Familien begrüßt. Während der Busfahrt zur Schule bekamen wir einen ersten Eindruck von der Größe der Stadt. Dann wurden wir ins Wochenende entlassen, das wir individuell in den Familien verbrachten.

Als wir uns am Montag in der Schule trafen, tauschten wir erste Erfahrungen aus, die wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Sehenswürdigkeiten und der russischen Küche gemacht hatten. Nach zwei Stunden Russischunterricht sahen wir uns den Deutschunterricht in zwei verschiedenen Klassen an. Nach dem Mittagessen machten wir eine Stadtrundfahrt.

Am Dienstag besuchten wir nach dem Unterricht das Museum der Geschichte der Stadt. In ungeheizten Räumen erfuhren wir alles über die 900tägige Belagerung Sankt Petersburgs im Zweiten Weltkrieg.

Um uns am Mittwoch zur Ermitage zu bringen, bekamen unsere Russinnen schulfrei. Wir wanderten drei Stunden durch dieses riesige Kunstmuseum und sahen trotzdem nur einen Bruchteil der 65.000 Ausstellungsstücke (3 Millionen besitzt das Museum).

Donnerstag war Literaturtag. In zwei Stunden lernten wir alles über den russischen Dichter Alexander Puschkin. Mit dem Bus fuhren wir dann zu seiner letzten Wohnung, in der er nach einem Duell um die Ehre seiner Frau starb.

Am Freitag war eine Führung durch die Peter-und-Pauls-Festung angesagt. Dort, wo 1703 der Grundstein für die Stadt gelegt wurde, sahen wir uns die Grabstätten der Zaren an. Wir brauchten unsere Lehrer nicht ins Festungsgefängnis zu stecken, sie entließen uns freiwillig zum Einkaufsbummel.

Das Wochenende stand wieder zur freien Verfügung. Einige fuhren nach Peterhof, um sich das prächtige Schloß und die berühmten Fontänen anzusehen, bevor sie für den Winter abgestellt wurden. Aber auch wer nicht nach Peterhof fuhr, hatte keine Zeit für Langeweile; die Stadt hält genügend Ausflugsziele bereit.

Als wir am zweiten Montag nach Pavlovsk fuhren, war es lausig kalt. Zwar besichtigten wir ein Sommerschloß, doch bei 5 Grad Celsius wünschte sich jeder warme Handschuhe.

Am nächsten Tag erfuhren wir mehr über die russische Geschichte als vielen von uns lieb war. Im Wachsfigurenkabinett erzählte man uns alles über die russischen Zaren seit Peter dem Großen und schwärmte von der Schönheit der Herrscher Rußlands, die uns leider verborgen blieb.

Das wohl schlechteste Wetter hatten wir am Mittwoch. Mit einem Kleinbus fuhren wir nach Novgorod, um uns bei strömendem Regen viele Kirchen von außen anzusehen. Im Freilichtmuseum erfuhren wir, wie früher in Rußland gebaut wurde; vornehmlich mit Holz.

Trotz dieser Fülle an Kultur kam unser leibliches Wohl nicht zu kurz, denn am Donnerstag kochten wir in der Schule. Neben typisch russischer Kohlsuppe mit Gemüse, gab es Kartoffeln mit Hackfleischfüllung und zum Dessert Pfannkuchen mit Moosbeerengrütze.

Am Freitag feierte man den Internationalen Lehrertag. Doch bevor wir während der Feierlichkeiten offiziell verabschiedet wurden, stand noch der Besuch des Alexander-Newski-Klosters auf dem Programm. Der Rest des Tages konnte zum Koffer packen oder zum Einkaufen genutzt werden.

Und am Samstag um 14 Uhr hieß es dann endgültig Abschied nehmen. Nach zwei erlebnisreichen, anstrengenden Wochen waren wir doch alle froh, als wir in Dortmund landeten. Wir hatten uns vorgenommen nie mehr über öffentliche Toiletten oder volle Busse zu schimpfen. Einige von uns werden bestimmt noch einmal nach Sankt Petersburg fahren, um den Rest der Stadt zu erkunden und geknüpfte Freundschaften zu vertiefen. Es war ein Erlebnis.

Nina J., 10b


Die hier wiedergegeben Texte entstammen den regelmäßig veröffentlichten Elternbriefen des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums Lünen. Redaktion: Peter Gehrmann
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