Der folgende Artikel wurde erstmals veröffentlicht in STEINZEIT, der Schülerzeitung des FSG (Nr. 27 Winter 1998, Seite 8f.). Wir publizieren ihn hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Amir Naor in Lünen
Von Michael Müller
Wie gefällt einem Israeli wohl das FSG? Diese Frage stellte sich die neu gegründete Israel-AG. Ein israelischer Schulleiter sollte das Stein vom 9. bis zum 12. November besuchen. Die Fakten wurden erst langsam bekannt. Er sei schon mehrmals in Deutschland gewesen sein und spreche deutsch, seine Heimatstadt liege 50 Kilometer nördlich von Tel Aviv eine angeblich gefährliche Ecke. Das waren auch schon alle Informationen und so gab es bald mehr Fragen als Antworten. Ist er nett? Ist er nicht nett? Was machen wir mit ihm, wenn er nett ist? Was machen wir mit ihm, wenn er nicht nett ist? Wie gut spricht er deutsch? Wie alt ist er?
Der 9. November kam, die ersten Einzelheiten wurden bekannt: Er spricht nur englisch, kommt vom Militär (wie alle Schulleiter in Israel) und ist genauso nett wie selbstbewußt. Dann die erste Begegnung. Wieder Fragen: Wie sollen wir ihn begrüßen? (Hello, Good morning oder etwa Hi?) Was sollen wir sagen? Werden wir ihn verstehen?
Durch die Stadt zum Mahnmal an der Lippe
Irgendwie gelang der erste Kontakt. Anschließend ging es durch die Lüner City zum Judenfriedhof an die Münsterstraße. Unterwegs der erste Sprachtest, der Leezenpatt, die Persiluhr und Aldi waren leicht zu erklären, aber beim Mahnmal an der Lippe gab es die ersten Schwierigkeiten: Was heißt denn Säule? Naja, später gabs ja noch die professionelle Führung. Ein Wort zum Wetter, der Herbst zeigte sich von seiner besten Seite, es regnete ununterbrochen und die Temperaturen lagen um 5 °C. Doch Amir Naor, unserem Gast, gefiel das Wetter. Noch! Am Judenfriedhof angekommen, trugen Schüler der Jahrgangsstufe 11 die Knochen-Charta vor. Zurück bevorzugte der Schulleiter dann das Auto.
In der Cafeteria wurden dann die unterschiedlichen Erlebnisse vom Wochenende ausgetauscht. Auch unser Direktor nahm an der Diskussion teil. Und da wundern sich einige Leute, wieso es in der Cafeteria so voll ist. Frau Pesch erzählte von Sankt Martin in der Neuzeit: Sie hatte am Freitag ihre Jacke in der Schule vergessen. Nach dem Meeting der Austauschpartner in Bonn wollte Naor noch mit ihr in eine Bar. Weil sie ohne Jacke zu später Stunde in Bonn fror, gab Naor ihr sein Jacke, so dass nun er fror. Die Schülerseite berichtete von Ihren Erlebnissen in Bielefeld, und Herr Czischke teilte Naor mit, warum Herr Weinhold seine E-Mail für einen Virus gehalten hatte.
In der siebten Stunde stellte sich der Israeli der »Öffentlichkeit«. Alle Schüler und Lehrer hatten Gelegenheit Fragen zu stellen. Neben Fragen zur Schule und zum Schulsystem beantwortete er die in Deutschland am meisten an ihn gestellte Frage: Wie sicher ist es in Israel? Seiner Meinung nach spielen die Medien die Situation in Israel hoch. Er könne sich ohne weiteres mit einem Palästinenser unterhalten. Als er nach Deutschland kam, habe er auch gedacht, er brauche ein Boot um nach Lünen zu kommen, weil die Medien in Israel das Hochwasser so dramatisiert hätten. Er gab zu, dass es mancherorts in Israel Terror gibt, aber wir würden auch nicht aus Deutschland wegziehen, nur weil in Berlin ein Mensch erschossen wurde.
Woher kommen die Löwen auf dem Lüner Wappen?
Anschließend ging es zur Stadtführung. Natürlich wusste auch die Stadtführerin nicht, dass sie ihr Werk auf englisch verrichten durfte. Vor dem Rathaus wurde uns erzählt, dass Lünen ein moderner Recycling-Standort sei, passend dazu stank es erbärmlich. Auch die Geschichte der Stadt wurde kurz erläutert. Unser Gast erwies sich als interessierter Zuhörer und fragte die Führerin, woher denn der Löwe auf dem Wappen komme. Uns wurde mitgeteilt, dass es kein Mensch wisse. Darauf hin erklärte Naor ihr die Geschichte, die er zuvor auf den Internetseiten von Herrn Weinhold gelesen hatte. Danach erlebten wir eine mehr oder doch eher weniger kompetente Führung nach dem Karteikarten-Prinzip. Den geringen Englischkenntnissen war es zu verdanken, dass sie uns einige Karten ersparte. An der Persiluhr wurden wir alle samt Führerin vom israelischen Schulleiter zu »San Remo« eingeladen, da ihm bereits zum zweiten Mal erzählt wurde, dass das Eis dort sehr gut schmecke. Später erzählte er uns, dass er Pläne durchaus ändern könne. Am Mahnmal an der Lippe gab es dann den zweiten Versuch, die vier Säulen zu erklären. Auch die Stadtführerin wusste nicht, was »Säule« hieß. Wir hatten uns inzwischen informiert und konnten wie so oft weiterhelfen (Säule = engl. column).
Ungefähr 18 Stunden später erzählte Naor in der Schülerratssitzung all das, was er schon einen Tag zuvor berichtet hatte. Außerdem wurden alle an einem Kontakt nach Israel interessierten Schülerinnen und Schüler aufgefordert einen kurzen Brief auf englisch zu verfassen, den er dann mitnähme. Am Nachmittag wurde dann das »Deutsche Bergbaumuseum« in Bochum besichtigt. Anschließend ging es nach einer unfreiwilligen Stadtrundfahrt zum »deutschen Schulleiter«. Während eines Kaffeetrinkens wurden die Einzelheiten des am Morgen (4 Uhr!) zuvor erstellten Programmes diskutiert. Der Austausch soll in den Klassen 10.2 und 11.1 stattfinden, da die Jahrgangsstufe elf die vorletzte Klasse in Israel ist. Die erste Gruppe mit 10 bis 15 Schülern soll vom 2. bis zum 12. Juni 99 zu Gast in Lünen sein. Der Gegenbesuch soll im Januar 2000 stattfinden. Sponsoren, um die Kosten zu senken, werden noch gesucht.
Wenn alle so sind wie er...
Während des Elternsprechtages ging es nach Oberhausen ins CentrO. Neben der Besichtigung eines modernen Einkaufszentrums nutzte Naor die Zeit um Geschenke für seine drei Kinder zu kaufen. Während der Fahrt konnte sich der Gast auch gleich einen Eindruck vom deutschen Nahverkehrssystems machen. Durch möglichst viel Umsteigen bekam er einen Eindruck von den verschieden Zugmodellen. Es gelang uns ihm die Pünktlichkeit der deutschen Bahn zu zeigen: »Zirka fünf Minuten später«, stand in Rot auf der Anzeigetafel. Zurück in Lünen, schwang sich der Direktor nach 14 Jahren wieder auf ein Fahrrad, denn schließlich ist Lünen eine fahrradfreundliche Stadt. (Wundersamerweise haben sowohl er als auch das Fahrrad die Aktion überlebt!) Nach dem Besuch eines Martinszuges wurde der Tag in einem italienischen Restaurant beendet. Durch das dauernde Dolmetschen bestellte Frau Thamm Naors Lieblingsgetränk auf englisch: Two coffees, please!
Amir Naor hinterließ einen guten Eindruck bei allen, die mit ihm lang oder kurz in Kontakt standen. Sein Englisch war ebenso gut pardon schlecht wie unseres. Falls seine Schüler genauso sind wie er, wird der Schüleraustausch ein Erfolg.
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