Friedrich Schiller: Der Parasit

 

Zweiter Aufzug

1. Auftritt

Narbonne und Selicour sitzen.

Narbonne. Sind wir endlich allein?

Selicour (unbehaglich). – Ja!

Narbonne. Es liegt mir sehr viel an dieser Unterhaltung. – Ich habe schon eine sehr gute Meinung von Ihnen, Herr Selicour, und bin gewiß, sie wird sich um ein Großes vermehren, ehe wir aus einander gehen. Zur Sache also, und die falsche Bescheidenheit bei Seite. Sie sollen in der Diplomatik und im Staatsrecht sehr bewandert sein, sagt man?

Selicour. Ich habe viel darin gearbeitet, und vielleicht nicht ganz ohne Frucht. Aber für sehr kundig möchte ich mich denn darum doch nicht –

Narbonne. Gut! Gut! Fürs erste also lassen Sie hören – Welches halten Sie für die ersten Erfordernisse zu einem guten Gesandten?

Selicour (stockend). Vor allen Dingen habe er eine Gewandtheit in Geschäften.

Narbonne. Eine Gewandtheit, ja, aber die immer mit der strengsten Redlichkeit bestehe.

Selicour. So mein’ ich’s.

Narbonne. Weiter.

Selicour. An dem fremden Hofe, wo er sich aufhält, suche er sich beliebt zu machen.

Narbonne. Ja! Aber ohne seiner Würde etwas zu vergeben. Er behaupte die Ehre des Staates, den er vorstellt, und erwerbe ihm Achtung durch sein Betragen.

Selicour. Das ist’s, was ich sagen wollte. Er lasse sich nichts bieten und wisse sich ein Ansehen zu geben.

Narbonne. Ein Ansehen, ja, aber ohne Anmaßung.

Selicour. So mein’ ich’s.

Narbonne. Er habe ein wachsames Auge auf alles, was –

Selicour (unterbricht ihn). Überall habe er die Augen, er wisse das Verborgenste aufzuspüren –

Narbonne. Ohne den Aufpasser zu machen.

Selicour. So mein’ ich’s. – Ohne eine ängstliche Neugierde zu verraten.

Narbonne. Ohne sie zu haben. – Er wisse zu schweigen und eine bescheidene Zurückhaltung –

Selicour (rasch). Sein Gesicht sei ein versiegelter Brief.

Narbonne. Ohne den Geheimniskrämer zu machen.

Selicour. So mein’ ich’s.

Narbonne. Er besitze einen Geist des Friedens und suche jeder gefährlichen Mißhelligkeit –

Selicour. Möglichst vorzubeugen.

Narbonne. Ganz recht. Er habe eine genaue Kenntnis von der Volksmenge der verschiedenen Länder –

Selicour. Von ihrer Lage – ihren Erzeugnissen – ihrer Ein- und Ausfuhr – ihrer Handelsbilance –

Narbonne. Ganz recht.

Selicour (im Fluß der Rede). Ihren Verfassungen – ihren Bündnissen – ihren Hilfsquellen – ihrer bewaffneten Macht –

Narbonne. Zum Beispiel: Angenommen also, es wäre Schweden oder Rußland, wohin man Sie verschickte – so würden Sie wohl von diesen Staaten vorläufig die nötige Kunde haben.

Selicour (verlegen). Ich – muß gestehen, daß – Ich habe mich mehr mit Italien beschäftigt. Den Norden kenn’ ich weniger.

Narbonne. So! Hm!

Selicour. Aber ich bin jetzt eben daran, ihn zu studieren.

Narbonne. Von Italien also!

Selicour. Das Land der Cäsaren fesselte billig meine Aufmerksamkeit zuerst. Hier war die Wiege der Künste, das Vaterland der Helden, der Schauplatz der erhabensten Tugend! Welche rührenden Erinnerungen für ein Herz, das empfindet!

Narbonne. Wohl! Wohl! Aber auf unser Thema zurückzukommen –

Selicour. Wie Sie befehlen! Ach, die schönen Künste haben so viel Anziehendes! Es läßt sich so vieles dabei denken!

Narbonne. Venedig ist’s, was mir zunächst einfällt.

Selicour. Venedig! – Recht! Gerade über Venedig habe ich einen Aufsatz angefangen, worin ich mich über alles ausführlich verbreite. – Ich eile ihn herzuholen – (Steht auf.)

Narbonne. Nicht doch! Nicht doch! Eine kleine Geduld!

 


 

2. Auftritt

Vorige. Michel.

Michel. Es ist jemand draußen, der in einer dringenden Angelegenheit ein geheimes Gehör verlangt.

Selicour (sehr eilig). Ich will nicht stören.

Narbonne. Nein! Bleiben Sie, Selicour! Dieser Jemand wird sich ja wohl einen Augenblick gedulden.

Selicour. Aber – wenn es dringend –

Narbonne. Das Dringendste ist mir jetzt unsre Unterredung.

Selicour. Erlauben Sie, aber –

Michel. Es sei in ein paar Minuten geschehen, sagt der Herr, und habe gar große Eile. (Selicour eilt ab.)

Narbonne. Kommen Sie ja gleich wieder, ich bitte Sie, wenn der Besuch fort ist.

Selicour. Ich werde ganz zu Ihren Befehlen sein.

Narbonne (zu Michel). Laßt ihn eintreten.

 


 

3. Auftritt

Narbonne. La Roche.

La Roche (mit vielen Bücklingen). Ich bin wohl – ich vermute – es ist des Herrn Ministers Exzellenz, vor dem ich –

Narbonne. Ich bin der Minister. Treten Sie immer näher!

La Roche. Bitte sehr um Vergebung – ich – ich komme – Es ist – Ich sollte – Ich bin wirklich in einiger Verwirrung – der große Respekt –

Narbonne. Ei, so lassen Sie den Respekt und kommen zur Sache! Was führt Sie her?

La Roche. Meine Pflicht, mein Gewissen, die Liebe für mein Land! – Ich komme, Ihnen einen bedeutenden Wink zu geben.

Narbonne. Reden Sie!

La Roche. Sie haben Ihr Vertrauen einem Manne geschenkt, der weder Fähigkeit noch Gewissen hat.

Narbonne. Und wer ist dieser Mann?

La Roche. Selicour heißt er.

Narbonne. Was? Sel –

La Roche. Gerade heraus. Dieser Selicour ist eben so unwissend, als er niederträchtig ist. Erlauben Sie, daß ich Ihnen eine kleine Schilderung von ihm mache.

Narbonne. Eine kleine Geduld! (Klingelt. – Michel kommt.) Ruft Herrn Selicour!

La Roche. Mit nichten, Ihr Exzellenz! – Er ist uns bei diesem Gespräche keineswegs nötig.

Narbonne. Nicht für Sie, das glaub’ ich, aber das ist nun einmal meine Weise. Ich nehme keine Anklage wider Leute an, die sich nicht verteidigen können. – Wenn er Ihnen gegenübersteht, mögen Sie Ihre Schilderung anfangen.

La Roche. Es ist aber doch mißlich, jemand ins Angesicht –

Narbonne. Wenn man keine Beweise hat, allerdings – Ist das Ihr Fall –

La Roche. Ich hatte nicht darauf gerechnet, es ihm gerade unter die Augen zu sagen. – Er ist ein feiner Schelm, ein besonnener Spitzbube. – Ei nun! Meinetwegen auch ins Angesicht. – Zum Henker, ich fürchte mich nicht vor ihm. – Er mag kommen! Sie sollen sehen, daß ich mich ganz und gar nicht vor ihm fürchte.

Narbonne. Wohl! Wohl! Das wird sich gleich zeigen. Da kommt er!

 


 

4. Auftritt

Narbonne. La Roche.

Narbonne. Kennen Sie diesen Herrn?

Selicour (sehr verlegen). Es ist Herr La Roche.

Narbonne. Ich habe Sie rufen lassen, sich gegen ihn zu verteidigen. Er kommt, Sie anzuklagen. Nun, reden Sie!

La Roche (nachdem er gehustet). Ich muß Ihnen also sagen, daß wir Schulkameraden zusammen waren, daß er mir vielleicht einige Dankbarkeit schuldig ist. Wir fingen beide unsern Weg zugleich an – es sind jetzt fünfzehn Jahre – und traten beide in dem nämlichen Bureau als Schreiber ein. Herr Selicour aber machte einen glänzenden Weg, ich – sitze noch da, wo ich ausgelaufen bin. Daß er den armen Teufel, der sein Jugendfreund war, seit vielen Jahren vergessen, das mag sein! Ich habe nichts dagegen. Aber nach einer so langen Vergessenheit an seinen alten Jugendfreund nur darum zu denken, um ihn unverdienterweise aus seinem Brot zu treiben, wie er getan, das ist hart, das muß mich aufbringen! Er kann nicht das geringste Böse wider mich sagen; ich aber sage von ihm und behaupte dreist, daß dieser Herr Selicour, der jetzt gegen Euer Exzellenz den redlichen Mann spielt, einen rechten Spitzbuben machte, da die Zeit dazu war. Jetzt hilft er Ihnen das Gute ausführen; Ihrem Vorgänger, weiß ich gewiß, hat er bei seinen schlechten Stückchen redlich beigestanden. Wie ein spitzbübischer Lakai weiß der Heuchler mit der Livree auch jedesmal den Ton seines Herrn anzunehmen. Ein Schmeichler ist er, ein Lügner, ein Großprahler, ein übermütiger Gesell! Niederträchtig, wenn er etwas sucht, und hochmütig, unverschämt gegen alle, die das Unglück haben, ihn zu brauchen. Als Knabe hatte er noch etwas Gutmütiges, aber über diese menschliche Schwachheit ist er jetzt weit hinaus. – Nun hat er sich in eine prächtige Stelle eingeschlichen, und ich bin überzeugt, daß er ihr nicht gewachsen ist. Auf sich allein zieht er die Augen seines Chefs, und Leute von Fähigkeiten, von Genie, Männer, wie Herr Firmin, läßt er nicht aufkommen.

Narbonne. Firmin! Wie? – Ist Herr Firmin in unsern Bureaus?

La Roche. Ein trefflicher Kopf, das können Sie mir glauben.

Narbonne. Ich weiß von ihm. – Ein ganz vorzüglicher Geschäftsmann!

La Roche. Und Vater einer Familie! Sein Sohn machte in Colmar die Bekanntschaft Ihrer Tochter.

Narbonne. Karl Firmin! Ja! Ja, ganz richtig!

La Roche. Ein talentvoller junger Mann!

Narbonne. – Fahren Sie fort!

La Roche. Nun, das wär’ es! Ich habe genug gesagt, denk’ ich!

Narbonne (zu Selicour). Verantworten Sie sich!

Selicour. Des Undanks zeiht man mich. – Mich des Undanks! Ich hätte gedacht, mein Freund La Roche sollte mich besser kennen! – An meinem Einfluß und nicht an meinem guten Willen fehlte es, wenn er so lange in der Dunkelheit geblieben. – Welche harte Beschuldigung gegen einen Mann, den er seit zwanzig Jahren treu gefunden hat! Mit seinem Verdacht so rasch zuzufahren, meine Handlungen aufs schlimmste auszulegen und mich mit dieser Hitze, dieser Galle zu verfolgen! – Zum Beweis, wie sehr ich sein Freund bin –

La Roche. Er mein Freund? Hält er mich für einen Dummkopf? – Und welche Proben hat er mir davon gegeben!

Narbonne. Er hat Sie ausreden lassen!

La Roche. So werde ich Unrecht behalten!

Selicour. Man hat einem andern seine Stelle gegeben, das ist wahr, und keiner verdiente diese Zurücksetzung weniger als er. Aber ich hätte gehofft, mein Freund La Roche, anstatt mich wie ein Feind anzuklagen, würde als Freund zu mir aufs Zimmer kommen und eine Erklärung von mir fordern. Darauf, ich gestehe es, hatte ich gewartet und mich schon im voraus der angenehmen Überraschung gefreut, die ich ihm bereitete. Welche süße Freude für mich, ihn über alle Erwartung glücklich zu machen! Eben zu jenem Chef, wovon ich Euer Exzellenz heut’ sagte, hatte ich meinen alten Freund La Roche vorzuschlagen.

La Roche. Mich zum Chef! Großen Dank, Herr Selicour! – Ein Schreiber bin ich und kein Geschäftsmann! Meine Feder und nicht mein Kopf muß mich empfehlen, und ich bin keiner von denen, die eine Last auf sich nehmen, der sie nicht gewachsen sind, um sie einem andern heimlich aufzuladen und sich selbst das Verdienst zuzueignen.

Selicour. Die Stelle schickt sich für dich, Kamerad, glaub’ mir, der dich besser kennt als du selbst. (Zu Narbonne.) – Er ist ein trefflicher Arbeiter, genau, unermüdlich, voll gesunden Verstands; er verdient den Vorzug vor allen seinen Mitbewerbern. – Ich lasse Männer von Genie nicht aufkommen, gibt er mir schuld, und Herr Firmin ist’s, den er anführt. – Das Beispiel ist nicht gut gewählt, so trefflich auch der Mann ist. – Erstlich ist seine jetzige Stelle nicht schlecht – aber ihm gebührt allerdings eine beßre, und sie ist auch schon gefunden – denn eben Herrn Firmin wollte ich Euer Exzellenz zu meinem Nachfolger empfehlen, wenn ich in jenen Posten versetzt werden sollte, den mir mein gütiger Gönner bestimmt. – Ich sei meinem jetzigen Amte nicht gewachsen, behauptet man. – Ich weiß wohl, daß ich nur mittelmäßige Gaben besitze. – Aber man sollte bedenken, daß diese Anklage mehr meinen Gönner trifft als mich selbst! – Bin ich meinem Amte in der Tat nicht gewachsen, so ist der Chef zu tadeln, der es mir anvertraut und mit meinem schwachen Talent so oft seine Zufriedenheit bezeugt. – Ich soll endlich der Mitschuldige des vorigen Ministers gewesen sein! – Die Stimme der Wahrheit habe ich ihn hören lassen; die Sprache des redlichen Mannes habe ich kühnlich zu einer Zeit geredet, wo sich meine Ankläger vielleicht im Staube vor ihm krümmten. – Zwanzigmal wollte ich diesem unfähigen Minister den Dienst aufkündigen; nichts hielt mich zurück als die Hoffnung, meinem Vaterlande nützlich zu sein. Welche süße Belohnung für mein Herz, wenn ich hier etwas Böses verhindern, dort etwas Gutes wirken konnte! – Seiner Macht habe ich getrotzt; die gute Sache habe ich gegen ihn verfochten, da er noch im Ansehen war! Er fiel, und ich zollte seinem Unglück das herzlichste Mitleid. Ist das ein Verbrechen, ich bin stolz darauf und rühme mich desselben. – Es ist hart, sehr hart für mich, lieber La Roche, daß ich dich unter meinen Feinden sehe – daß ich genötigt bin, mich gegen einen Mann zu verteidigen, den ich schätze und liebe! – Aber komm! Laß uns Frieden machen, schenke mir deine Freundschaft wieder, und alles sei vergessen!

La Roche. Der Spitzbube! – Rührt er mich doch fast selbst!

Narbonne. Nun, was haben Sie darauf zu antworten?

La Roche. Ich? – Nichts! Der verwünschte Schelm bringt mich ganz aus dem Konzepte.

Narbonne. Herr La Roche! Es ist brav und löblich, einen Bösewicht, wo er auch stehe, furchtlos anzugreifen und ohne Schonung zu verfolgen – aber auf einem ungerechten Haß eigensinnig bestehen, zeigt ein verderbtes Herz.

Selicour. Er haßt mich nicht! Ganz und gar nicht! Mein Freund La Roche hat das beste Herz von der Welt! Ich kenne ihn – aber er ist hitzig vor der Stirn – er lebt von seiner Stelle – und das entschuldigt ihn! Er glaubt sein Brot zu verlieren! Ich habe auch gefehlt – ich gesteh’ es – Komm! Komm, laß dich umarmen, alles sei vergessen!

La Roche. Ich ihn umarmen! In Ewigkeit nicht. – Zwar, wie er’s anstellt, weiß ich nicht, um mich selbst – um Euer Exzellenz zu betrügen – aber kurz! Ich bleibe bei meiner Anklage. – Kein Friede zwischen uns, bis ich ihn entlarvt, ihn in seiner ganzen Blöße dargestellt habe!

Narbonne. Ich bin von seiner Unschuld überzeugt – wenn nicht Tatsachen, vollwichtige Beweise mich eines anderen überführen.

La Roche. Tatsachen! Beweise! Tausend für einen!

Narbonne. Heraus damit!

La Roche. Beweise genug – die Menge – Aber das ist’s eben – ich kann nichts damit beweisen! Solchen abgefeimten Schelmen läßt sich nichts beweisen. – Vormals war er so arm wie ich; jetzt sitzt er im Überfluß! Sagt’ ich Ihnen, daß er seinen vorigen Einfluß zu Geld gemacht, daß sich sein ganzer Reichtum davon herschreibt – so kann ich das zwar nicht, wie man sagt, mit Brief und Siegel belegen – aber Gott weiß es, die Wahrheit ist’s, ich will darauf leben und sterben.

Selicour. Diese Anklage ist von zu niederer Art, um mich zu treffen – übrigens unterwerf’ ich mich der strengsten Untersuchung! – Was ich besitze, ist die Frucht eines fünfzehnjährigen Fleißes; ich habe es mit saurem Schweiß und Nachtwachen erworben, und ich glaub’ es nicht unedel zu verwenden. Es ernährt meine armen Verwandten, es fristet das Leben meiner dürftigen Mutter!

La Roche. Erlogen! Erlogen! Ich kann es freilich nicht beweisen! Aber gelogen, unverschämt gelogen!

Narbonne. Mäßigen Sie sich!

Selicour. Mein Gott! Was erleb’ ich! Mein Freund La Roche ist’s, der so hart mit mir umgeht. – Was für ein Wahnsinn hat dich ergriffen? Ich weiß nicht, soll ich über diese Wut lachen oder böse werden. – Aber lachen auf Kosten eines Freundes, der sich für beleidigt hält – Nein, das kann ich nicht! das ist zu ernsthaft! – Deinen alten Freund so zu verkennen! – Komm doch zu dir selbst, lieber La Roche, und bringe dich wenigstens nicht aus übel angebrachtem Trotz um eine so treffliche Stelle, als ich dir zugedacht habe!

Narbonne. Die Wahrheit zu sagen, Herr La Roche, diese Halsstarrigkeit gibt mir keine gute Meinung von Ihnen. – Muß auch ich Sie bitten, gegen Ihren Freund gerecht zu sein? – Auf Ehre! Der arme Herr Selicour dauert mich von Herzen!

La Roche. Ich will das wohl glauben, gnädiger Herr! Hat er mich doch fast selbst, trotz meines gerechten Unwillens, auf einen Augenblick irre gemacht – aber nein, nein! ich kenne ihn zu gut – zu gewiß bin ich meiner Sache. – Krieg, Krieg zwischen uns und keine Versöhnung! Hier, sehe ich, würde alles weitre Reden vergeblich sein! Aber wiewohl der Spitzbube mich aufs Äußerste treibt, lieber tausendmal Hungers sterben, als ihm mein Brot verdanken. Ich empfehle mich zu Gnaden! (Ab.)

 


 

5. Auftritt

Narbonne. Selicour.

Narbonne. Begreifen Sie diese hartnäckige Verstocktheit –

Selicour. Hat nichts zu sagen! Er ist ein guter Narr! Ich will ihn bald wieder besänftigen.

Narbonne. Er ist rasch und unbesonnen, aber im Grunde mag er ein guter Mann sein.

Selicour. Ein seelenguter Mann, dafür steh’ ich – dem aber der Kopf ein wenig verschoben ist. – Es kann auch sein, daß ihn sonst jemand gegen mich aufhetzt.

Narbonne. Meinen Sie?

Selicour. Es mag so etwas dahinter stecken. – Wer weiß? irgend ein heimlicher Feind und Neider – denn dieser arme Teufel ist nur eine Maschine.

Narbonne. Wer sollte aber –

Selicour. Es gibt so viele, die meinen Untergang wünschen!

Narbonne. Haben Sie vielleicht einen Verdacht?

Selicour. Ich unterdrücke ihn! denn daß ich so etwas von Herrn Firmin denken sollte – Pfui! Pfui! das wäre schändlich! das ist nicht möglich!

Narbonne. So denk’ ich auch. Der Mann scheint mir dazu viel zu rechtlich und zu bescheiden.

Selicour. Bescheiden, ja, das ist er!

Narbonne. Sie kennen ihn also?

Selicour. Wir sind Freunde.

Narbonne. Nun, was halten Sie von dem Manne?

Selicour. Herr Firmin, muß ich sagen, ist ein Mann, wie man sich ihn für das Bureau eigentlich wünscht – wenn auch eben kein Kopf, doch ein geschickter Arbeiter. – Nicht zwar, als ob es ihm an Verstand und Kenntnissen fehlte – Keineswegs! Er mag viel wissen, aber man sieht’s ihm nicht an.

Narbonne. Sie machen mich neugierig, ihn zu kennen.

Selicour. Ich hab’ ihm schon längst darum angelegen, sich zu zeigen – aber vielleicht fühlt er sich für eine subalterne Rolle und für die Dunkelheit geboren. Ich will ihn indessen –

Narbonne. Bemühen Sie sich nicht. – Gegen einen Mann von Verdiensten kann unser einer unbeschadet seines Rangs die ersten Schritte tun. – Ich selbst will Herrn Firmin aufsuchen. – Aber jetzt wieder auf unser voriges Thema zurückzukommen, das dieser La Roche unterbrochen hat –

Selicour (verlegen). Es ist schon etwas spät –

Narbonne. Hat nichts zu sagen.

Selicour. Es wird auch jetzt die Zeit zur Audienz sein.

Narbonne (sieht nach der Uhr). Ja, wahrhaftig.

Selicour. Wir können es ja auf morgen –

Narbonne. Gut! Auch das!

Selicour. Ich will also –

Narbonne. Noch ein Wort –

Selicour. Was beliebt?

Narbonne. Ein Geschäft kann ich Ihnen wenigstens noch auftragen, das zugleich Fähigkeit und Mut erfordert.

Selicour. Befehlen Sie!

Narbonne. Mein Vorgänger hat durch seine üble Verwaltung ein Heer von Mißbräuchen einreißen lassen, die trotz aller unsrer Bemühungen noch nicht abgestellt sind. Es wäre daher ein Memoire aufzusetzen, worin man alle Gebrechen aufdeckte und der Regierung selbst ohne Schonung die Wahrheit sagte.

Selicour. Erlauben aber Euer Exzellenz – eine solche Schrift könnte für ihren Verfasser, könnte für Sie selbst bedenkliche Folgen haben.

Narbonne. Das kümmert uns nicht – Keine Gefahr, keine persönliche Rücksicht darf in Anschlag kommen, wo die Pflicht gebietet.

Selicour. Das ist würdig gedacht!

Narbonne. Sie sind der Mann zu diesem Werk – Ich brauche Ihnen weiter nichts darüber zu sagen. – Sie kennen das Übel so gut und besser noch als ich selbst.

Selicour. Und ich bin, hoffe ich, mit Ihnen darüber einerlei Meinung.

Narbonne. Ohne Zweifel. Dies Geschäft hat Eile; ich verlasse Sie, verlieren Sie keine Zeit, es ist gerade jetzt der günstige Augenblick – ich möchte es wo möglich noch heute an die Behörde absenden. – Kurz und bündig – es kann mit wenigem viel gesagt werden! Leben Sie wohl! Gehen Sie ja gleich an die Arbeit! (Er geht ab.)

 


 

6. Auftritt

Selicour. Madame Belmont.

Mad. Belmont. Sind Sie allein, Herr Selicour? Ich wollte erwarten, bis er weggegangen wäre – er darf nichts davon wissen.

Selicour. Wovon ist die Rede, Madame?

Mad. Belmont. Wir wollen heute Abend ein kleines Konzert geben, und meine Charlotte soll sich dabei hören lassen.

Selicour. Sie singt so schön!

Mad. Belmont. Sie geben sich auch zuweilen mit Versen ab? Nicht wahr?

Selicour. Wer macht nicht einmal in seinem Leben Verse!

Mad. Belmont. Nun, so machen Sie uns ein Lied oder so etwas für heute Abend!

Selicour. Eine Romanze meinen Sie?

Mad. Belmont. Gut, die Romanzen lieben wir besonders!

Selicour. Wenn der Eifer den Mangel des Genies ersetzen könnte –

Mad. Belmont. Schon gut! Schon gut! Ich verstehe.

Selicour. Und ich brauchte allerdings so ein leichtes Spielwerk zu meiner Erholung! – Ich bin die ganze Nacht aufgewesen, um Akten durchzugehen und Rechnungen zu korrigieren –

Mad. Belmont. Eine niederträchtige Beschäftigung!

Selicour. Daß ich mich wirklich ein wenig angegriffen fühle. – Wer weiß! Die Blume der Dichtkunst erquickt mich vielleicht mit ihrem lieblichen Hauch, und du, Balsam der Herzen, heilige Freundschaft!

 


 

7. Auftritt

Vorige. Robineau.

Robineau (hinter der Szene). Nu! Nu! Wenn er drin ist, wird mir’s wohl auch erlaubt sein, denk’ ich –

Mad. Belmont. Was gibt’s da?

Robineau (im Eintreten). Dieses Bedientenpack bildet sich mehr ein als seine Herrschaft. – Ich will den Herrn Selicour sprechen.

Selicour. Ich bin’s.

Robineau. Das will ich bald sehen. – Ja, mein Seel, das ist er! – leibhaftig – Ich seh’ ihn noch, wie er sich im Dorf mit den Jungens herumjagte. – Nun seh’ Er jetzt auch mal mich an – betracht’ Er mich wohl. Ich bin wohl ein bißchen verändert – Kennt Er mich?

Selicour. Nein!

Robineau. Ei, ei, ich bin ja des Robineaus Christoph, des Winzers, der die dicke Madelon heiratete, Seines Großvaters Muhme, Herr Selicour!

Selicour. Ach so!

Robineau. Nun – Vetter pflegen sich sonst zu umarmen, denk’ ich.

Selicour. Mit Vergnügen. – Seid mir willkommen, Vetter!

Robineau. Großen Dank, Vetter!

Selicour. Aber laßt uns auf mein Zimmer gehen – ich bin hier nicht zu Hause.

Mad. Belmont. Lassen Sie sich nicht stören, Herr Selicour! Tun Sie, als wenn ich gar nicht da wäre.

Selicour. Mit Ihrer Erlaubnis, Madame, Sie sind gar zu gütig! Man muß ihm sein schlichtes Wesen zu gute halten; er ist ein guter ehrlicher Landmann und ein Vetter, den ich sehr lieb habe.

Mad. Belmont. Das sieht Ihnen ähnlich, Herr Selicour!

Robineau. Ich komme soeben an, Herr Vetter!

Selicour. So – und woher denn?

Robineau. Ei, woher sonst als von unserm Dorf. – Dieses Paris ist aber auch wie zwanzig Dörfer. – Schon über zwei Stunden, daß ich aus dem Postwagen gestiegen, treib’ ich mich herum, um Ihn und den La Roche aufzusuchen, Er weiß ja, Seinen Nachbar und Schulkameraden. – Nun, da find’ ich Ihn ja endlich, und nun mag’s gut sein!

Selicour. Er kommt in Geschäften nach Paris, Vetter?

Robineau. In Geschäften! Hat sich wohl! Ein Geschäft hab’ ich freilich –

Selicour. Und welches denn? –

Robineau. I nun – mein Glück hier zu machen, Vetter!

Selicour. Ha! Ha!

Robineau. Nun, das Geschäft ist wichtig genug, denk’ ich.

Selicour (zu Madame Belmont). Excusieren Sie!

Mad. Belmont. Er belustigt mich.

Selicour. Er ist sehr kurzweilig.

Robineau. Peter, der Kärrner, meinte, der Vetter habe sich in Paris seine Pfeifen gut geschnitten. – Als er noch klein war, der Vetter, da sei er ein loser Schelm gewesen, da hätt’s geheißen: der verdirbt nicht – der wird seinen Weg schon machen! – Wir hatten auch schon von Ihm gehört, aber die Nachrichten lauteten gar zu schön, als daß wir sie hätten glauben können. Wie wir aber nicht länger daran zweifeln konnten, sagte mein Vater zu mir: Geh hin, Christoph! suche den Vetter Selicour in Paris auf, die Reise wird dich nicht reuen – vielleicht machst du dein Glück mit einer guten Heirat. – Ich, gleich auf den Weg, und da bin ich nun! – Nehmen Sie mir’s nicht übel, Madam! Die Robineaus gehen gerade aus; was das Herz denkt, muß die Zunge sagen – und wie ich den lieben Herrn Vetter da so vor mir sah, sehen Sie, so ging mir das Herz auf.

Mad. Belmont. Ei, das ist ganz natürlich.

Robineau. Hör’ Er, Vetter, ich möchte herzlich gern auch mein Glück machen! Er weiß das Geheimnis, wie man’s anfängt; teil’ Er mir’s doch mit.

Selicour. Sei immer rechtschaffen, wahr und bescheiden! Das ist mein ganzes Geheimnis, Vetter, weiter hab’ ich keins. – Es ist doch alles wohl zu Hause?

Robineau. Zum Preis Gottes, ja! Die Familie gedeiht. Der Bertrand hat seine Susanne geheiratet; sie wird bald niederkommen und hofft, der Herr Vetter wird zu Gevatter stehen. Es ist alles in guten Umständen bis auf Seine arme Mutter. – Die meint, es wär’ doch hart, daß sie notleiden müsse und einen so steinreichen Sohn in der Stadt habe.

Selicour (leise). Halt’s Maul, Dummkopf!

Mad. Belmont. Was sagte er von der Mutter?

Selicour (laut). Ist’s möglich? Die tausend Taler, die ich ihr geschickt, sind also nicht angekommen? – Das tut mir in der Seele weh! – Was das doch für schlechte Anstalten sind auf diesen Posten – Die arme gute Mutter! Was mag sie ausgestanden haben!

Mad. Belmont. Ja wohl! Man muß ihr helfen.

Selicour. Das versteht sich! Sogleich bitte ich den Minister im Urlaub – es ist eine gerechte Forderung. Ich kann darauf bestehen – Die Pflicht der Natur geht allen andern vor – Ich eile nach meinem Ort – in acht Tagen ist alles abgetan! – Sie hat sich nicht in Paris niederlassen wollen, wie sehr ich sie auch darum bat! Die liebe alte Mutter hängt gar zu sehr an ihrem Geburtsort.

Robineau. So kann ich gar nicht aus ihr klug werden, denn zu uns sagte sie, sie wäre gern nach Paris gekommen, aber der Vetter habe es durchaus nicht haben wollen!

Selicour. Die gute Frau weiß selbst nicht immer, was sie will! – Aber sie notleidend zu wissen – Ach Gott! das jammert mich und schneidet mir ins Herz.

Mad. Belmont. Ich glaub’s Ihnen wohl, Herr Selicour! – Aber Sie werden bald Rat geschafft haben. Ich gehe jetzt und lasse Sie mit Ihrem Vetter allein. – Glücklich ist die Gattin, die Sie einst besitzen wird. Ein so pflichtvoller Sohn wird gewiß auch ein zärtlicher Gatte werden! (Ab.)

 


 

8. Auftritt

Selicour und Robineau.

Robineau. Meiner Treu, Herr Vetter, ich bin ganz verwundert über Ihn – eine so herzliche Aufnahme hätt’ ich mir gar nicht von Ihm erwartet. Der ist gar stolz und hochmütig, hieß es, der wird dich gar nicht mehr erkennen!

Selicour (nachdem er wohl nachgesehen, ob Madame Belmont auch fort ist). Sage mir, du Esel! Was fällt dir ein, daß du mir hier so zur Unzeit über den Hals kommst!

Robineau. Nun, nun! Wie ich ihm schon sagte, ich komme, mein Glück zu machen!

Selicour. Dein Glück zu machen! Der Schafskopf!

Robineau. Ei, ei, Vetter! Wie Er mit mir umgeht – Ich lasse mir nicht so begegnen.

Selicour. Du tust wohl gar empfindlich – Schade um deinen Zorn – Von seinem Dorf weg nach Paris zu laufen! Der Tagdieb!

Robineau. Aber was das auf einmal für ein Betragen ist, Herr Vetter! – Erst der freundliche Empfang und jetzt diesen barschen Ton mit mir! – Das ist nicht ehrlich und gerade gehandelt, nehm’ Er mir’s nicht übel, das ist falsch – und wenn ich das weiter erzählte, wie Er mit mir umgeht – ’s würde Ihm schlechte Ehre bringen! Ja, das würd’ es.

Selicour (erschrocken). Weiter erzählen! Was?

Robineau. Ja, ja, Vetter!

Selicour. Untersteh’ dich, Bube! – Ich will dich unterbringen – ich will für die Mutter sorgen. Sei ruhig, ich schaffe dir einen Platz, verlaß dich darauf.

Robineau. Nun, wenn Er das –

Selicour. Aber hier können wir nicht davon reden! Fort! Auf mein Zimmer!

Robineau. Ja, hör’ Er, Vetter! Ich möchte so gern ein recht ruhiges und bequemes Brot. Wenn er mich so bei der Accise unterbringen könnte.

Selicour. Verlaß dich drauf, ich schaffe dich an den rechten Platz. – Ins Dorf mit dem dummen Dorfteufel über Hals und Kopf – (Ab.)