EquilibriumEinfach überwältigend

Was die „Theater-Steinis“ des Lüner Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums am Freitagnachmittag auf der Bühne des Hilpert-Theaters vor gut 350 begeisterten Zuschauern dargeboten haben, war schlichtweg überwältigend.

Dies betrifft nicht nur die stattliche Anzahl von 53 aktiven Mitwirkenden, sondern auch die Intensität der Darstellung, mit der die spielfreudigen Akteure das Publikum beeindruckten. „Ich bewundere die Kreativität dieser Jugendlichen, die es in einigen Szenen sogar vermocht haben, dass mich Tränen der Rührung überfielen“, sagte Hildegard Fricke, deren Enkelkind sich unter den Spielern befand.

Franca Neumann, Lena von der Krone und Johanna Wohlert haben ein Bühnenstück geschrieben, das den Titel „Equilibrium“ („Gleichgewicht“) trägt. Julia (Nicole Klesch) ist aus ihrem inneren Gleichgewicht geraten. Eine emanzipierte Frau, die alles erreicht hat, und die dennoch unerfüllt ihre Familie verlässt, um noch mehr aus ihrem beruflichen Leben zu machen. Um diesen nachzuvollziehen, hat das Autorenteam Julias Entwicklung von jener Phase aus verfolgt, da Julia als Kleinkind (Marlene Heide) nach dem Unfalltod der Eltern in ein Waisenhaus kommt.

Diverse Zeitebenen

Dabei gelingt dem Trio durch die Verschiebung der jeweiligen Zeitebenen ein spannendes Stück von geradezu epischem Ausmaß. Es ist ja nicht nur die Vielzahl an Einzel- und Gruppenrollen, von denen etliche zu Charaktern entwickelt werden mussten. Auch die Vielfalt an diversen Handlungsorten musste das Trio szenisch ausschmücken. Der daraus resultierende Aufwand an Umbauten sowie an Kostümwechseln und Requisitenbereitstellung lief schnell und störungsfrei ab, wie überhaupt die gesamte Aufführung vor und hinter den Kulissen bemerkenswert diszipliniert stattgefunden hat. Was sicherlich auch Julia Hormann zu verdanken ist, die das Autorentrio bei der Regiearbeit umsichtig unterstützte. Erwähnenswert sind auch die eingespielten Klavierkompositionen in den Umbauszenen, welche die Bereitschaft zum Zuhören geweckt haben, sowie das Gesangssolo von Ricarda-Joy Naffin.

Dem Regie-Team ist es gelungen aufzuzeigen, dass der ständige Drang nach Perfektion und strammer Individualität („Meins, mir, ich“) langfristig keinen Erfolg verspricht. Dass das Streben, stets Erster oder Bester in einer untereinander konkurrierenden Ellbogengesellschaft sein zu wollen, zerstörerisch wirkt, wenn Leistung als Lebensprinzip absolut gesetzt ist. Dies entspringt einer Ideologie, die sich seit Jahren wie Mehltau über unsere Gesellschaft gelegt hat und weiterhin alle sozialen Lebensverhältnisse zu durchdringen versucht. Es ist jene diabolisch verführerische Kraft, die auf Julias Gleichgewicht einwirkt, indem sie ihre Seele an den Götzen „Leistung“ verkauft - und daran scheitert. Wenn im Stück Hinweise auf kleine, feste und überdauernde Solidargemeinschaften aufgezeigt werden, so schwingt damit die Überzeugung der Jugendlichen mit, dass noch nichts verloren ist, weil man an einer Sache gemeinsam wachsen kann. Wie so etwas geht, haben rund 35 sozial engagierte „Steinis“ bewiesen, die eine Gruppe betagter Senioren des Caritas-Verbandes beim Transport zum und beim Besuch im Theater begleitet haben. Ein rundherum toller Nachmittag!