»Jürgen Korn wird pensioniert!« Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese Nachricht am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium und in der Stadt. Ungläubigkeit machte sich breit. »Ist der denn schon so alt?« »Wieso kann der so frühzeitig gehen?« »Will er das überhaupt?« Irgendwann mussten wir zur Kenntnis nehmen: Es war alles ganz normal. Er durfte und musste gehen. Die Drähte zum Ministerium liefen heiß. »Jürgen Korn muss gehen!« »Wie?« fragte man in Düsseldorf, »das kann nicht sein. Jürgen Korn muss gehen?« Schon bald war auch dort klar: »Das geht nicht! – Der geht nicht!« Unter dem Vorwand, Geld sparen zu müssen, wurde mit heißer Nadel ein Gesetz gestrickt. Nicht zu Beginn des Schuljahres, sondern erst am Ende des Halbjahres, in dem er 65 würde, sollte er pensioniert werden. Damit war zunächst einmal ein Jahr gewonnen und bis dahin würde der Ministerin schon was Neues einfallen. Große Erleichterung machte sich breit und auch Jürgen Korn war irgendwie zufrieden, schließlich gab es noch genug zu tun. Doch was war das? Wie schon so oft: Gut gemeint ist noch nicht gut gemacht! Keiner will es gewesen sein, aber der Fehler war passiert. Eine Riesensauerei! Generationen von Lehrerinnen und Lehrern müssen demnächst bis zu einem Jahr länger arbeiten, aber Jürgen Korn wird trotzdem pensioniert! Lieber Jürgen, liebe Familie Korn, verehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen! An Tagen wie diesen ist es angebracht und üblich, den Lebensweg des Gefeierten in feierlicher Form und gutem Deutsch, wenn auch unter Weglassung von Misserfolgen und Verfehlungen vorzutragen. Das möchte ich nicht tun! Denn erstens würde Jürgen mir nie verzeihen, wenn ich heute eine zu feierliche Rede halten würde und zweitens habe ich mich entschlossen alles schonungslos zur Sprache kommen zu lassen. Schauen wir zunächst auf das Jahr 1940. In diesem und in den darauf folgenden zwei Jahren wurden keine Nobelpreise verliehen. Auch die Olympischen Spiele wurden abgesagt Offensichtlich wartete man zunächst ab. Das erste MacDonalds-Restaurant wurde gerade in San Bernardino in Kalifornien eröffnet, die ersten Nylonstrümpfe waren verkauft und am 22.6.1940 wurde Jürgen Korn geboren. Es war in Lünen, es war in der Seydlitzstr. 18 und es war eine Hausgeburt. Auf all das legt er größten Wert. Mehr geht nicht! Jürgen Korn ist ein waschechter Lüner! Nein, meine Damen und Herren, so harmlos und fröhlich, wie gerade vorgetragen, war es natürlich nicht. In Europa herrschte Blitzkrieg, an genau diesem 22. Juni 1940 unterzeichnete Frankreich den Waffenstillstand und kapitulierte. Eine schlimme Zeit auch für Jürgen Korn. Wenige Wochen vor seiner Geburt wurde sein Vater zum Militär einberufen und drei Tage vor Jürgens viertem Geburtstag wurde sein Vater von Partisanen erschossen. Tief bewegt habe ich Deinen Lebenslauf gelesen, den Du anlässlich Deiner Anmeldung zum Abitur geschrieben hast. Darin beschreibst Du Deine Erlebnisse aus den letzten beiden Kriegsjahren, die Bilder, die ein Fünfjähriger gesehen und ein 19-jähriger in Worte gefasst hat. Du schreibst: « ... ich meine, daß jeder, der so etwas gesehen hat, unmöglich für Ungerechtigkeit und Krieg sein kann.« Wenn Jürgen sich heute für alles engagiert, was das Vergessen unmöglich macht, so hat dies sicher seine Wurzeln in den eigenen Erlebnissen aus dieser Zeit. Seitdem ich diese Lebensläufe gelesen habe, verstehe ich mehr denn je diesen Satz, den Du immer wieder gesagt hast: »Diese Schülerakten im Archiv der Schule sind ein Schatz. Den dürfen wir nicht aus der Hand geben.« Beim Lesen der Lebensläufe kam mir der Gedanke, dass es gut wäre, wenn sich auch heute unsere Schüler mit einem Lebenslauf für die Abiturprüfung anmelden müssten. Es wäre nicht nur ein Schatz für nachfolgende Generationen, ein Zeitdokument, sondern auch eine Aufforderung an die gerade volljährigen ihre eigene Vergangenheit und Zukunft zu reflektieren. Nach vier Jahren katholischer Volksschule begann Jürgen Korns Karriere am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium. Die letzten sechs Schulleiter am Stein hast Du persönlich kennen gelernt und Du hast mir viel von Ihnen erzählt, außer vielleicht vom letzten. Ich behaupte: Die ersten drei haben in ihn das eingepflanzt, was dann bei den letzten drei zum Ausbruch kam. Martin Reisloh war der erste. Obwohl bereits pensioniert, unterrichtete er weiter und war Jürgens erster Lateinlehrer. Von ihm erzähltest Du mit wenig Begeisterung. Muffi, wie er genannt wurde, machte schon mal aus mehreren Sechsen in seinem Notizbuch eine Drei als Endnote. Schließlich ist 3 mal 6 soviel wie 6 mal 3 und notfalls reichte seine Phantasie aus, um eine 6 wie eine 3 aussehen zu lassen. Für mich ist klar: Deine Entscheidung in den Schuldienst zu gehen, wurde durch Martin Reisloh beeinflusst. Du wolltest es später einmal besser machen. Vom Schulleiter Dr. Wilhelm Radtke spricht Jürgen hingegen mit Respekt. Du erzähltest mir von der Sportprüfung im Abitur, die Herr Radtke unterbrach, weil ihm die Leistungen der Schüler nicht gut genug waren. Radtke zog das Jackett aus, krempelte die Ärmel hoch und turnte eine Riesenfelge am Reck. Anschließend teilte er den Schülern mit, was er von ihnen in der Prüfung erwartete. Als Sextaner musstest Du Dich als einer von 52 Schülern Deiner Klasse vor dem Balkon des Schulleiters Wilhelm Radtke aufstellen. Der stand auf dem Balkon und wenn er rief: »Sexta b eintreten!« begaben sich alle gesittet und geordnet in die Sitzmaschinen im heutigen Raum 121. Heute schmunzelt er darüber, aber offensichtlich hat dem Sextaner Jürgen Korn diese Form der Ordnung damals imponiert, denn er spricht noch heute anerkennend davon, wie sehr Radtke damals darauf achtete, dass beispielsweise der Rasen gegenüber vom Haupteingang nicht betreten wurde und dadurch stets in einwandfreiem Zustand war. Anders bei Karl-Gerhard Brauer. Als der kam, verlor der Rasen in konzentrischen Kreisen nach und nach seine grüne Farbe und wurde zu braun verdichtetem Humus. In der Obertertia und Untersekunda war Brauer Dein Klassen- und Mathematiklehrer. So manches Mal musstest Du Ð wie Deine Mitschüler Ð privat für Herrn Brauer Kohlen in den Keller tragen. Aber das war damals normal und Du hast es ihm ebenso verziehen wie seinen schlechten Unterricht, den er stets mit der Frage »Was machen wir zur Zeit?« begann und meist vorzeitig beendete, weil Herr Vater ihn aus dem Unterricht holte. Zur Erklärung: Herr Vater war die Frau Zolper von Herrn Brauer. Bis heute hast Du allerdings nicht verziehen, dass Karl-Gerhard Brauer die Architektur des Freiherr-vom-Stein-Schulgebäudes angegriffen hat. Damals gab es noch die mit Liebe gestalteten Brunnen am Ende der Gänge im Altbau. Schulleiter Brauer ließ die Brunnen abschlagen, weil er sie für unpädagogisch hielt. »Für Liebe war damals kein Platz!« Der Schüler Jürgen Korn beschloss zurück zu kommen und dafür zu sorgen, dass das nie wieder vorkommen sollte. Damals wurde die Tradition des Streits um die kleinen Schönheiten begründet. Damals waren es die Bronzenippel, aus denen Wasser in dünnem Strahl heraustrat und heute sind es die Edelstahlnippel, die den Neubau zieren. Aber reden wir nicht über Frau Limena, reden wir über Jürgen Korn. Langfristig plante er also ans FSG zurückzukehren, was aber waren 1960 seine kurzfristigen Ziele? Zunächst einmal hatten gerade 12 der 52 Schüler aus der Sexta pünktlich ihr Abitur am FSG gemacht. Im Gutachten der Klassenkonferenz, das für jeden Schüler anlässlich der Abiturprüfung geschrieben wurde, hieß es: »Korn […] wuchs, von seiner Mutter und seinen beiden älteren Schwestern umsorgt, in weiblicher Umgebung auf. Hierdurch vielleicht verwöhnt, ist er zu einem selbstbewußten, leicht überheblichen aber dennoch verbindlichen Menschen geworden. [...] So überrascht er heute durch gediegenes Wissen, gute Gedanken und sicheres Urteil [...] Im Sport, für den er einen gesunden Körper mitbringt, sucht er einen Ausgleich. Der begeisterungsfähige und lebensfrohe Mensch hat sich noch nicht entscheiden können, welchen Beruf er ergreifen soll, er schwankt zwischen Biologie und Kunst, wofür er Interesse und Begabung zeigt.« Wie gut Deine Lehrer Dich doch einzuschätzen wussten. Du hast nicht geschwankt. Biologie und Kunst sollten es sein. Aber es gab Schwierigkeiten, denn ein Studium der Fächer Kunst und Biologie war parallel nicht möglich. Also hast Du hast Du erst einmal das Biologiestudium an der Uni Münster abgeschlossen um Dich dann an der Kunsthochschule Stuttgart anzumelden. Stuttgart war die anerkannte Hochschule für ein Studium mit dem Schwerpunkt grafik. Die Aufnahmeprüfung in Stuttgart hast Du geschafft und es stand eigentlich nichts mehr im Wege um Deiner zweiten großen Leidenschaft nachzugehen. Oh doch! Inzwischen gab es eine noch größere Liebe. Ursula hieß sie, war Lehrerin und Ernährerin der Familie, Sohn Jörg wurde geboren und Jürgen entschloss sich die drohende Wochenendehe gegen ein Sport- und Geografiestudium an der Universität Münster einzutauschen und bald wurde auch Tochter Julia geboren. Im Jahr 1967 schaffte er die 1. Staatsprüfung, absolvierte seine Referendarausbildung in Marl und Dortmund. Am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Marl kam er als Studienassessor in eine Zeit des schulischen Umbruchs. Nach dem so genannten »Dorstener Modell« wurde damals an einem neuen Oberstufenkonzept gearbeitet. Noch vor der offiziellen Oberstufenreform hatte man in diesem Modellversuch alle Freiheiten. Bewusst wurde den Schülerinnen und Schülern nicht nur die Wahl des Faches sondern auch der Lehrer gestattet, Studienbücher wurden eingeführt und für alle Fächer mussten neue Kurssequenzen entwickelt werden. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass Jürgen Korn diese progressive Linie damals sehr gereizt hat. Er beteiligte sich insbesondere an der Umgestaltung des Biologieunterrichts zu einem mehr experimentellen Fach. Noch heute schwärmt er davon, welche hervorragenden Bedingungen sich damals für den Unterricht ergaben, weil die Chemischen Werke Marl-Hüls die Schule aktiv und umfangreich unterstützten. Es gab kaum einen Versuchsaufbau, den man sich dort nicht beschaffen konnte. Doch dann wurde ein Gymnasium in Altlünen errichtet und Jürgen Korn wurde zum Studienrat ernannt. Eine Schule im Aufbau, das war trotz politischer Andersartigkeit wieder eine reizvolle Aufgabe. Auch am Gymnasium Altlünen fand er gute Bedingungen vor. Geld spielte keine Rolle. Besonders beim Aufbau der Biologieabteilung konnte er aus dem Vollen schöpfen. »Nur vom Feinsten« wie er immer zu sagen pflegt. Parallel kümmerte er sich um die Sammlung Sport, auch hier musste Aufbauarbeit im wahrsten Sinne des Wortes geleistet werden, Sportanlagen wurden gebaut und am Ende stand die Einführung des Leistungsfaches Sport, das er organisatorisch betreute. Das Gymnasium Altlünen hatte einen Schipark und Schischullandheimaufenthalte, als am FSG noch niemand an Fügen dachte. Inzwischen war er längst Oberstudienrat, beinahe hätte ich vergessen es zu erwähnen, aber alles ging sehr schnell. Wir sind im Jahr 1976 und Jürgen Korn wird Studiendirektor, allerdings am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium. Willkommen zu Hause! Die Lehr- und Wanderjahre waren abgeschlossen. Peter Ost war gerade Schulleiter geworden. Seine Art Schulleitung zu tun hat ihm sehr imponiert und Peter Ost war sein großes Vorbild. Das FSG lag am Boden, kaum jemand wollte freiwillig diese Schule besuchen und der Kraftakt, diese Schule wieder auf die Beine zu stellen, hatte gerade begonnen. Die Aufbruchstimmung, die damals am Stein nach dem Brauer-Delirium herrschte, kam ihm entgegen. »Es gab immer viel zu tun«, sagt er mit Begeisterung, wenn er über diese Zeit spricht. Ärmel aufkrempeln, zupacken, aufbauen! Ein harter Ost-Wind löste die laue Brauer-Brise ab und Peter Ost konnte Leute von gutem Schrot und ... Korn gut gebrauchen. Jürgen Korn wurde verantwortlich für die Koordination der Erprobungsstufe, die differenzierte Mittelstufe und die Erneuerung der biologischen Abteilung. Ab sofort durfte er sich auch um das Schulgebäude und seine Einrichtungen kümmern. Wie gut diese Entscheidung war, wissen inzwischen alle! Gemeinsam mit Bernd Klisa hat er an der Entwicklung des Schiprojekts gearbeitet und natürlich auch am Stein-Gymnasium eine Foto-AG gegründet. Schon damals hat er Schülerinnen und Schüler in die Dunkelkammer geführt und heraus kamen nicht selten beeindruckende Ausstellungen zu schul- und lokalgeschichtlichen, künstlerischen oder architektonischen Themen. Seine Ausstellung zur Architektur dieses Gebäudes muss besonders erwähnt werden, weil man sie als Ausgangspunkt einer Diskussion werten kann, an dessen Ende die Anerkennung als Denkmal stand. Als Peter Ost ging, standen zwei Nachfolger bereit: Ernst Neugebauer und Jürgen Korn. Es sollte ein knappes Rennen mit dem bekannten Ausgang werden. Die Mitglieder des Schulausschusses machten sich Sorgen und fragten Dich, ob Du Dir denn eine weitere Zusammenarbeit mit Ernst Neugebauer vorstellen könntest. Sie kannten Jürgen Korn schlecht. Es war und ist seine tiefste Überzeugung: »Wer antritt, muss auch verlieren können.« Es war für ihn absolut selbstverständlich als stellvertretender Schulleiter mit Ernst Neugebauer loyal zum Wohle dieser Schule zusammenzuarbeiten. Und Ernst Neugebauer hatte natürlich erkannt, welche Talente ihm hier an die Seite gestellt waren, und hat ihm im Sinne der Arbeitsteilung an vielen Stellen freie Hand gelassen. Alles begann mit der Zusammenführung des Geschwister-Scholl-Gymnasiums mit dem Freiherr-vom-Stein-Gymnasium. Natürlich hat er in der Kommission mitgearbeitet, die den Übergang realisieren sollte. Sein großes Thema aber wurde der Umbau und die notwendige Erweiterung des Schulgebäudes. Meine Damen und Herren! Wir sollten uns ins Gedächtnis rufen: Ohne Jürgen Korn hätte die Stadt Lünen heute an dieser Stelle einen Waschbetonkies-Industriebau auf Stelzen zur Überbauung des damals noch vorhandenen Gipskartonpavillons als Verbindung zwischen Turnhalle und dem Altbau. Er hat sich mit aller Macht gegen diese Lösung gestemmt und zum Glück hatte er Hilfe. Ich nenne stellvertretend für viele Herrn Marek, der gemeinsam mit Kollegen einen Alternativvorschlag erarbeitet hatte, und ich nenne Herrn Hölzner, ohne dessen Hilfe die Turnhalle wohl nicht in dieser Form gebaut worden wäre. Nach langem zähem Ringen war es geschafft. Der erste Neubau am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium wurde erstellt. Jürgen Korn übernahm die Begleitung und Überwachung der gesamten Baumaßnahme aus schulfachlicher Sicht. In jeder Pause setzte sich Jürgen den weißen Schutzhelm auf und inspizierte seine Bausstelle. Längst war er zum Bauleiter geworden. In vielen Situationen musste er selbst eingreifen um den Maurern zu zeigen, wie das Ganze aussehen sollte. Dabei kam es auch schon mal zu Handgreiflichkeiten, wenn die Maurer beispielsweise versuchten das runde Gebäude mit einer eckigen Abmauerung zu versehen. Rolf Ratzmann und Jürgen Korn schlugen ihnen gemeinsam die Kelle aus der Hand und provozierten damit einen Auftritt der Stadtoberen und eine verschärfte Rüge. Die Mauer wurde aber nicht gesetzt. Viele von uns erinnern sich an den monatelangen Gang über die Baubohlen, die Lärmbelästigung. Der Presslufthammer diktierte den Schulalltag, Klausur- und Stundenpläne wurden an den Baufortschritt angepasst. Unser Lehrerzimmer befand sich mal in der Aula, mal im kleinen Garderobenraum und die Schule befand sich im permanenten Ausnahmezustand. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits wir beide für den Stundenplan und den Vertretungsplan verantwortlich. Als Du Stellvertreter wurdest und Dietrich Scholle zur neuen Nachbarschule wechselte, hattest Du mich gefragt, ob ich mir eine Zusammenarbeit mit Dir vorstellen könnte. Ich konnte mir das gut vorstellen! Und so saßen wir uns mit Kästchenpapier, Bleistift und Radiergummi ausgestattet im Raum 216 an wuchtigen Schreibtischen aus Brauer-Zeiten gegenüber und haben zeitgleich, einer für die Lehrer, der andere für die Klassen, Stunden in Pläne eingetragen und wieder wegradiert. Ich weiß nicht, ob das Verfahren besser oder schlechter war als heute, kommunikativer war es allemal. Wir waren die Erfinder des ersten Transparentcomputers, der aus übereinander gelegten Transparentfolien bestand und uns durch reines Gegen-das-Licht-Halten die Lösung komplizierter Stundenplanprobleme ermöglichte. Zum Patent haben wir ihn allerdings nie angemeldet. Wir haben gemeinsam Kooperationsverhandlungen mit Frau Nolte und Frau Kraemer vom Geschwister-Scholl-Gymnasium geführt. Stolz führten wir sie in unseren kleinen Computerraum (heute SV-Raum), wo wir Lösungen von unserem ersten Siemenscomputer rechnen ließen. Peinlich war es nur, wenn wir wieder einmal mit einer eleganten Flanke über den Tisch springen mussten um den Computer durch einen Tritt gegen das Lüftungsbauteil zur Weiterarbeit zu bewegen. Auch mit richtiger Computerunterstützung entstanden viele Pläne auf den letzten Drücker, da die Unterrichtsverteilung erst spät fertig wurde, weil mal wieder die Behörde die Lehrerzuweisungen nicht gebacken bekam. So haben wir viele Nächte miteinander verbracht, die uns auch einen Teil unserer Gesundheit gekostet haben, aber die auch immer fröhlich waren. Wenn wir nachts um 3 nebeneinander saßen und Du plötzlich keine Ratschläge mehr gabst, waren Dir nicht etwa die Ideen ausgegangen, sondern die Augen zugefallen. Und umgekehrt hörte ich auch schon mal Deine Stimme im Traum, die sagte: »Ich glaube, Du bist eingeschlafen!« Am nächsten Morgen aber war der Plan stets fertig. Ernst Neugebauer wurde pensioniert und mir war klar: Der nächste Schulleiter heißt Jürgen Korn. Aber er wollte nicht. Gesundheitliche Probleme und – damit verbunden – der Wunsch einen halben Gang zurückschalten zu wollen, ließen ihn wohl zu dieser Entscheidung kommen. Du wolltest, dass ich es machen sollte, und hast mich bei meiner Kandidatur sehr unterstützt. Der Ausgang ist bekannt. Aber auch in der Folgezeit gab es für Dich immer genug zu tun! Du warst unser Finanzminister, der den Haushalt immer sehr gut geführt hat. Ich denke an die Sanierungsmaßnahmen am Altbau und ich denke an den letzten Neubau. Auch hier gab es viel Stress, bis er so geworden ist, wie Du, wie wir ihn haben wollten. Es war aber schon einfacher als damals, denn jeder wusste: Jürgen Korn ist ein Fachmann. Er hat sich so gut eingearbeitet, dass man ihm nichts vormachen kann. Meien Damen und Herren, bei unserer Reise durch die Zeit sind wir am heutigen Tag angekommen. Wer ist Jürgen Korn? Wie war Jürgen Korn? Manche Leute behaupten: Wenn Jürgen Korn sich morgens sein Oberhemd anzieht, krempeln sich seine Ärmel von selber auf. Ohne Probleme hätte er Arzt, Architekt, Künstler, Schlosser, Fotograf, Berufssportler oder Archäologe werden können, um nur ein paar Möglichkeiten zu nennen. Vor allem aber war er ein guter Lehrer. Ob Ehemalige oder aktuelle Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I oder der Oberstufe, immer hörte man: »Der Korn ist Klasse, der macht einen spannenden Unterricht« und vor allem: »Bei dem hab ich viel gelernt!« Er ist begeisterungsfähig und hat sich immer viel vorgenommen. Wenn er irgendwo ein Problem entdeckte, hatte er auch schnell eine Lösung parat. Er gehört nicht zu denen, die stets 40 bis 50 Gründe nennen, warum etwas nicht geht. Gerade diese Eigenschaft habe ich immer an Dir geschätzt. Er kann wunderbar erzählen, seine Geschichten sind immer fröhlich und herrlich ausgeschmückt. Er ist Philhellene. Speziell die Archäologie der Gegend um Epirus ist Ziel seiner wissenschaftlichen Arbeiten, weil es über diesen Bereich auch sehr wenig Literatur gibt. Wir alle gehen davon aus, dass Du in Zukunft noch mehr Zeit in Griechenland verbringen wirst. Er ist Künstler. Sein grafisches Interesse und seine Begabung zeigt er mit Ölkreide, Feder, Radierung und Fotografik. Er ist Fotograf. »Geschichte geschieht in jedem Moment!« Diesen Satz liebe ich! Immer hatte Jürgen seine Kamera zur Hand, wenn etwas geschah. Ich wünsche mir von Dir, dass Du Deine Bilder zur 100-Jahr-Feier des FSG hervorholst und ausstellst. Er ist Sportler, ein exzellenter Schiläufer, ein sehr guter Fußballer, Tennisspieler. Vom Hechtbagger beim letzten WWT spricht man noch heute. Er liebt seine Familie. Du hast Privates und Schulisches immer weitgehend getrennt gehalten. Dennoch weiß ich, dass Du immer sehr stolz auf Deine Kinder gewesen bist und Du kannst es ja auch sein. Inzwischen bist Du durch Julia Carolina und Johanna Catharina sogar zum stolzen Großvater geworden. Und das wichtigste darf ich nicht vergessen: Ohne die Unterstützung Deiner Frau hättest Du dies alles nicht machen können. Alle diese Eigenschaften zeigen, dass er auch im sogenannten Ruhestand immer genug zu tun haben wird. Mir persönlich werden Deine humorvollen Anmerkungen fehlen, unser gemeinsames Lachen, Dein Zupacken, unsere gemeinsamen Pläne und Utopien. Wenn diese Schule einen guten Ruf genießt, so haben daran viele Kolleginnen und Kollegen mitgewirkt. Aber eins wissen wir alle: Der Beitrag, den Du geleistet hast, ist außerordentlich. Du hast uns diese Schule in jeder Hinsicht »besenrein« übergeben. Wir übernehmen ein schweres Erbe. Wir versprechen Dir, dass wir gut darauf achten werden. Und Du versprichst uns, dass wir jederzeit Deinen Rat einholen dürfen. Du hast immer gesagt »Die Stadt Lünen hat viel für diese Schule getan, aber wir haben auch viel für diese Stadt getan!« Ich kann diesen Satz voll unterstreichen und ich möchte hinzufügen: Du hast viel für Deine Schule und für Deine Stadt getan. Jürgen, wir danken Dir! Ich danke Dir! |