Zur Erinnerung an Yacov Levi (Teil V und Schluss)
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Nachlassende Gesundheit verhindert Reiseantritt

Die für den Sommer 2010 geplante Reise konnte Yacov aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten. Schon wenige Wochen nach unserem Treffen berichtete er, dass ihn zunehmend Krankheiten plagten. Und dann hieß es in seiner Mail vom 19. Juli: »Aber es war mir schwer meine Reise officiell abzurufen [d. h., abzusagen; Anm. d. Red.]. Erstens habe ich keinen Begleiter gefunden und zweitens habe Gesundheitsprobleme. Nichts Ernsthaftes, aber störend«. Dennoch blieb Yacov davon überzeugt, die Reise in Begleitung seiner amerikanischen Enkelin noch realisieren zu können. Ende 2010 trafen weitere schlechte Nachrichten ein. Yacov schrieb, dass seine 97 Jahre alte Schwester Else am 21. Dezember 2010 verstorben sei und er sich zur Zeit von einer Lungenentzündung erhole.

Anfang 2011 erreichte Yacov die Nachricht, dass die Stein-Schüler mit ihrer Homepage beim Bundesjugendwettbewerb einen Preis gewonnen hätten. Bei der Preisverleihung in Berlin trugen sie Schilder und bedankten sich bei ihm mit den Worten: »Toda Levi«. Die WAZ berichtete am 24.1.2011 darüber:

 

 http://www.derwesten.de/staedte/luenen/stein-schueler-sagen-toda-levi-id4203605.html

Stein-Schüler sagen »Toda Levi«

24.01.2011 | 18:02 Uhr
 
Lünen. »Toda Levi«, Hebräisch für »Danke, Levi«: mit diesen zwei Worten wollen sich die Lüner Gewinner des diesjährigen Bundesjugendwettbewerbes DENKT@G bei jenem Mann bedanken, der den Sieg durch seine Mitarbeit erst möglich gemacht hat.

In zahlreichen E-Mails aus Israel hatte der schon vor dem Holocaust ausgewanderte Lüner Yakov Levi den katholischen Religionskurs der Jahrgangsstufe 12 am Stein-Gymnasium immer wieder mit ausführlichen Informationen über sein Leben versorgt. Die Berichte waren in eine von den Schülern und ihrem Lehrer Martin Loer gestaltete Homepage zum Thema Fremdenfeindlichkeit und Rassismus eingeflossen, die jetzt von der Konrad-Adenauer-Stiftung prämiert wurde (unsere Zeitung berichtete).

Auch Norbert Lammert

möchte kommen

Bei der Preisverleihung am Freitag – auch Bundestagspräsident Norbert Lammert hat seinen Besuch in den Räumen der Stiftung angekündigt – wollen die Schüler ein Zeichen setzen: Auf kleinen Schildchen, die die gesamte Delegation aus der Lippestadt tragen will, ist »Toda Levi« zu lesen, ein Dank, der auch als Botschaft in die Ferne verstanden werden kann. Denn schon seit Weihnachten haben Schüler und Lehrer nichts mehr von dem fast 90-jährigen gehört. »Wir sind ein bisschen in Sorge«, sagt Martin Loer – genau genommen wisse man nicht einmal, ob Levi, dessen Eltern einst eine Metzgerei an der Lange Straße besaßen (heute Blumen Risse), überhaupt von dem Wettbewerbs-Sieg erfahren hat.

 

Ein direktes Treffen zwischen den Schülern und Yakov Levi, der vor langer Zeit selbst das Stein-Gymnasium besuchte, ist nie zustande gekommen. Trotzdem fühlen sich die Preisträger mit dem Ausgewanderten verbunden: »Er gehört zu uns«, sagt Loer – das sollen auch die stolz zur Schau getragenen Schilder ausdrücken.

Thema und Ausgangspunkt der erst nach der Preisverleihung freigeschalteten Homepage ist eine Begebenheit, die die Lüner besonders beeindruckte: Genau wie viele andere aus Deutschland Geflohene auch, hatte sich der eigentlich auf den Namen Ernst getaufte Levi damals nicht nur den neuen Vornamen Yakov gegeben: als Zeichen seines Bruches mit dem Heimatland verbrannte er auch seinen deutschen Pass. »Und das hat er freiwillig getan«, betont der 18-jährige Mert Özdiker, der während der Recherchephase den E-Mail-Kontakt zu Levi pflegte. Die beeindruckende Episode fügte sich nahtlos in das übergeordnete Thema des Projektes ein: Weil Individualität im Mittelpunkt des Interesses stand, werden die Berichte Levis auf der Homepage mit Profilen der beteiligten Schüler kombiniert. »Wir wollten die Bedeutung für die Gegenwart herauskitzeln«, sagt Loer.

Per E-Mail habe sich Levi auch nach Mert Özdikers eigenen Erfahrungen in Deutschland erkundigt: »Er fragte mich, wie es mir hier ergeht«, erinnert sich der Schüler, dessen familiäre Wurzeln im Ausland liegen. »Ich habe ihm erzählt, dass es heute in Deutschland nicht mehr so ist.«

Philip Ritter

Lernen, lernen – auch im hohen Alter

Im März 2011 – Yacov war gerade 88 Jahre alt geworden – mailte er mir: »An eine Reise ist leider nicht zu denken, bis ich vollständig überzeugt bin, dass ich mich ohne Probleme in ein fremdes Bett legen kann. Ich kann nicht mehr frei gehen, was immer meine starke Seite war. Mein Kopf selbst arbeitet noch wie vorher«.

Als ich ihm ein Jahr später zu seinem 89. Geburtstag am 1. März 2012 gratulierte, schrieb er: »Leider ist mein Gesundheitszustand gar nicht gut. Nur in Kuerze: ich bin ein Traeger von Leukämie... Ich habe gelernt mich damit abzufinden... Glücklicherweise ist mein Kopf vollstaendig in Ordnung und ich nutze die Zeit um zu lernen...«.

Wenige Wochen später erreichte mich die Nachricht seines Sohnes, dass Yacov am 30. März 2012 in einem Krankenhaus von Tel-Aviv verstorben sei und seine letzte Ruhestätte in Beth Shaarim gefunden habe, dort wo er viele Jahre gelebt hatte. Seinen Tod betrauern seine 90-jährige Ehefrau Miriam, sein in Haifa lebender Sohn Eran und die in Tel-Aviv beziehungsweise in den USA lebenden Töchter Efrat und Nomi sowie Enkel und Urenkel.
 

Grab

  Grabstein
Das Grab von Yacov Levi in Beth-Shaarim    
 

Die Inschrift auf dem Grabstein lautet:

Yacov Levi
Sohn von Lina und Paul
1.3.1923–30.3.2012

[Es folgen die Daten gemäß dem hebräischen Kalender.]

Ein Mann der Praxis und des Geistes, ein Pädagoge und ein Künstler

[Es folgt das Akronym des Spruchs »Seine Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens« – dieses Akronym findet sich auf allen jüdischen Grabsteinen; vgl. 1 Samuel 25,29.]

Die Bilder der Kindheit suchen – die Lebensgeschichte erzählen

Yacovs Ehefrau Miriam verstarb im Alter von 90 Jahren am 20. Oktober 2012. Sie fand ihre letzte Ruhestätte neben ihrem kurz zuvor verstorbenen Ehemann.

Yacovs Homepage, die noch weiterhin erreichbar ist, enthält seitdem den Hinweis der Familie: »Yacov Levi’s family is deeply sorry to announce that Yacov had passed away on 30th March 2012. May he rest in peace«.

Leider konnte Yacov die lang geplante Reise in seine Geburtsstadt nicht mehr machen und nicht realisieren, was er dort, wie er es im Mai 2010 in Briefen an den »Stein«-Schüler Mert formuliert hatte, vorzufinden hoffte:

»Ich suche dort nichts ausser den Bildern meiner Kindheit... In meiner Fantasie besteht ein Bild wie ich in meine alte Schule komme und allen meine Geschichte und Anschauungen erzaehle«.

 

Seine alte Schule, das Freiherr-vom-Stein Gymnasium in Lünen, habe ich im Sommer 2012 informiert, dass Yacov verstorben sei. Das Gymnasium will zur Erinnerung an Yacov Levi auf seiner Schul-Website eine eigenständige Gedenkseite errichten.

Über sein Schicksal berichtete die WAZ am 15. August 2012:
 

http://www.derwesten.de/staedte/luenen/yakov-levi-kehrte-nie-zurueck-id6987784.html ):

Erinnerung

Yakov Levi kehrte nie zurück

15.08.2012 | 19:33 Uhr  
 

Lünen. Im Jahr 1937 floh Yakov Levi vor den Nazis aus Lünen. Er kehrte nie wieder zurück. Er starb im Alter von 89 Jahren in Tel Aviv.

»Das Gefühl, wie einige Zeit nach der Machtergreifung der Nazis ich, meine Familie und Bekannte plötzlich ohne jeglichen Rechtsschutz jeder Anpöbelei und Handtätlichkeit ausgeliefert waren, werde ich nie vergessen.« Yakov Levi, der 1937 aus seiner Geburtsstadt Lünen geflohen war und 45 Jahre später diese Zeilen schrieb, kehrte nicht mehr an die Orte seiner Kindheit zurück. Er ist am 30. März im Alter von 89 Jahren in Tel Aviv gestorben.

»Vor etwa drei Jahren plante er erstmals, nach Deutschland zu reisen und noch einmal sein Elternhaus in der Lange Straße zu sehen«, erzählt Gerd Blumberg, ein Mitschüler Levis. Der Sohn jüdischer Kaufleute wurde 1923 als Ernst-Jakob Levy in Lünen geboren und besuchte von 1933 bis 1937 das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium.

Objekt der Willkür

»Mit Yakovs Tode ist jetzt auch das letzte, in Lünen aufgewachsene Kind von Lina und Paul Levi verstorben, die in Lünen bis 1937 eine Metzgerei betrieben haben«, so Blumberg. Das Haus des Metzgermeisters am Alten Markt, in dem die Familie jahrzehntelang wohnte und arbeitete, gibt es noch – heute ist darin ein Blumengeschäft untergebracht.

Lange Zeit wollte Yakov Levi nach seiner Flucht keinen Kontakt mehr nach Lünen haben. »Meine Familie war da wohl eine Ausnahme«, meint Blumberg, der heute in Münster lebt. »Ich habe ihn Mitte der 1960er Jahre in seinem Haus in Beth Shaarim besucht.« Auch habe er nach 1938 nie mehr Deutsch gesprochen und seinen Namen geändert. »Selbst ein Kind von 10 bis 14 Jahren will nicht und kann nicht auf seine Menschenwürde verzichten und plötzlich ein Objekt der Willkür werden«, schrieb Yakov Levi 1982 in einem Brief an das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium rückblickend über die Zeit seiner Jugend.

 

 

Judengasse zur

Erinnerung

Yakov Levi, der als Ernst Levy von 1933 bis 1937 das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium besuchte und dann vor den Nationalsozialisten aus seiner Geburtsstadt Lünen floh, ist im Alter von 89 Jahren in Tel Aviv/Israel gestorben.

Einige Lehrer, darunter Hans-Jürgen Korn und Dietrich Scholle, hatten zusammen mit Schülern schriftlich Kontakt zu ihm aufgenommen. Sein Antwort-Brief wurde in der Festschrift zum 75-jährigen Jubiläum der Schule veröffentlicht, außerdem richteten die Lehrer und Schüler am Elternhaus Levis zur Erinnerung und Mahnung die Judengasse ein. »Mit 14 Jahren verließ ich die Stadt. Dann kam ein sehr traumatisches Jahr«, schreibt Levi in dem Brief über seine Flucht vor der Gewaltherrschaft. »Und danach musste ich mir einen neuen Rahmen für mein Leben innerhalb einer besonders engen und guten Gemeinschaft schaffen.« Yakov Levi lebte mit seinen Eltern, denen ebenfalls die Flucht gelang, im Kibbuz Mizra, südlich von Nazareth, einer landwirtschaftlichen Kollektivsiedlung.

Schulfarm im Kibbuz

geleitet

Dort leitete er später eine Schulfarm, in der Kinder in der Landwirtschaft ausgebildet wurden.

»Als ich ihn 2010 in Tel Aviv traf, war er noch zuversichtlich und glaubte, die Reise nach Lünen antreten zu können«, so Blumberg. »Doch schon wenige Wochen später berichtete er, dass ihn zunehmend Krankheiten plagten.« Beerdigt worden sei er in Beth Shaarim, im Norden von Israel, wo er von 1962 bis 2008 gelebt hat. »Die letzten vier Jahre verbrachte er in einem Altersheim in Tel Aviv, wo er auch seine pflegebedürftig gewordene Frau Miriam unterbringen konnte«, berichtet Blumberg. Miriam Levi ist 91 Jahre alt, mit ihr trauern zwei Töchter und ein Sohn.

   
 

Anmerkung des Verfassers:

Für die bis dato unveröffentliche, im September/Oktober 2012 verfasste Biographie habe ich Briefe, Fotos und Dokumente aus meinem Archiv genutzt; einige Fotos und Dokumente erhielt ich in den letzten drei Jahren von Yacov und Eran Levi. Mit der Familie Levi sind wir seit den 1930-er Jahren, als mein Vater Otto Blumberg Richter am Amtsgericht Lünen war, bekannt und befreundet. Yacovs Mutter Lina und seine Schwester Else Dalith waren ab den 1950-er Jahren mehrere Male in Lünen und Gäste in unserem Haus. Die Veröffentlichung der Biographie – auch in Teilen – ist nur mit meiner vorherigen schriftlichen Zustimmung gestattet.

   
Über den Autor

1943 in Lünen geboren, 1962 Abitur am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Lünen, Jurastudium in Münster und Freiburg, ab 1971 im Höheren Dienst der Bundeszollverwaltung tätig, seit 2007 im Ruhestand und Anwalt in Münster. Autor verschiedener Publikationen zum Thema »Zoll- und Finanzbehörden im Dritten Reich« sowie »Ausplünderung der Juden durch Finanz- und Zollbehörden«.

 

11.01.2013
Artur Weinhold

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