"Der Nachtschwärmer" von Nelson Michalski (Eph)
Warum eigentlich? Fragte ich mich während ich nach draußen schaute. Die Straßen waren wie leergefegt. Niemand, außer der Kälte und der Stille, war draußen. Warum bin ich eigentlich in dieses Café gegangen? Wahrscheinlich wollte ich mich vor der Kälte schützen oder ich hatte wieder Hoffnung. Hoffnung jemanden kennenzulernen oder einen alten Freund zu treffen. Die einzige Hoffnung schien aber bereits vergeben zu sein.
Ein Mann saß zwei Plätze neben mir und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Schräg gegenüber von mir saß eine Frau zusammen mit einem Mann. Sie sprachen nicht viel, schienen sich aber trotzdem zu mögen. Ihr feuerrotes Haar flammte im Licht auf und sein markantes, hartes Gesicht wirkte sehr ernst. Die Stimmung im Café war sehr bedrückend und sichtlich angespannt.
„Möchten sie etwas trinken?“, fragte mich die Bedienung. „Ich nehme fürs erste nur ein Wasser“, sagte ich. Es lag vielleicht an dem Rauch von dem Mann neben mir oder einfach an der schlechten Luft im Café, aber es ging mir nicht gut. Zumindest fühlte ich mich nicht gesund. Es fühlte sich an, als ob sich jemand auf meinen Kopf gesetzt hätte.
„Wann können wir endlich gehen? Ich möchte nach Hause. Ich bin müde und gestresst. Ich kann kaum noch atmen. Ich möchte nach Hause“, sagte die Frau zu dem Mann neben ihr. „Du stellst fragen“, antwortete er und trank sein Getränk weiter entspannt.
Er war unhöflich und nicht nett.
Ich wollte auch nach Hause. Der Mann bestellte noch ein Getränk und die Frau rollte ihre Augen. „Sind sie sich sicher?“, fragte die Bedienung den Mann, während er die Frau anguckte. Der Mann erwiderte: „Ja natürlich!“. Die Frau lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Warum eigentlich? Wieso bestellt der Mann noch ein Getränk?
Ich musste husten. Die Luft wurde noch schlechter. „Soll ich die Zigarette ausmachen?“, fragte mich der Mann neben mir. „Lassen sie ruhig, ich hatte sowieso gleich vor zu gehen. Wir haben schon kurz vor 2. Um diese Uhrzeit sollte man zu Hause bei seiner Frau im Bett liegen.“ Der Mann nickte und die Frau guckte mich nun freundlich an. Nun entschied ich mich, doch noch ein Getränk zu bestellen. „Bevor ich gehe, kann ich aber noch schnell etwas trinken. Ich hätte gerne einen Apple Martini bitte.“, sagte ich zur Bedienung. Die Frau fragte den Mann erneut, wann sie gehen würden, doch der Mann ignorierte sie und tappte lediglich nur nach ihrer Hand, während er die Erdbeere seines Getränks aß.
Warum eigentlich? Wieso ist man so unfreundlich zu so einer nett wirkenden Frau. „Wir gehen gleich. Ich will nur noch schnell die Toilette besuchen.“, sagte der Mann plötzlich zu der Frau. „Mach aber schnell. Ich möchte nach Hause. Ich bin müde“, hörte man die Frau sagen. „Ja, ja, ist ja schon gut, heul nicht rum. Tratschen, heulen und meckern ist alles, was ihr Frauen könnt.“ Der Mann verschwand auf die Toilette, die Frau schnaufte auf und wirkte sichtlich bedrückt.
„Ist das Ihr Freund?“, fragte ich die Frau. „Ach so, der Mann, ja er ist mein Freund“, schluchzte die Frau.
„Sie scheinen aber nicht gerade darüber glücklich zu sein“, antwortete ich, während die Frau sich bereit machte zu gehen. „Wir haben unsere Schwierigkeiten, ja. Aber ich liebe ihn und er liebt mich. Wir haben uns vor zwei Monaten bei einer Weinprobe kennengelernt und seitdem sind wir ein Paar. Wir sind noch nicht lange zusammen, aber das kommt noch. Da bin ich mir sicher“, sagte sie mit einem steifen Lächeln im Gesicht.
Warum eigentlich? Das kommt noch, da bin ich mir sicher. Als der Mann zurückkam, verließen sie das Café. „Auf Wiedersehen“, rief sie mir mit einem Lächeln zu. Warum eigentlich?
"Nachtschwärmer" von Johanna Wohlert (Eph)
Es war spät. Alles war dunkel und verlassen; die Straßen, die Schaufenster. Nur in einer Bar war noch Licht an, aber hell war es nicht.
Die Frau auf der anderen Seite der Bar sprach ab und zu leise ein paar Worte mit dem Mann, aber sie sahen sich dabei nicht in die Augen. Starrten auf irgendeinen Punkt in der Ferne. Ihre Hände lagen nebeneinander auf dem Tisch, aber sie berührten sich nicht. Was die beiden vom Schlafen abhielt, war klar. Aber wenigstens redeten sie überhaupt noch miteinander.
Ich hatte nicht einmal jemanden, mit dem ich streiten konnte.
Der Mann drei Plätze neben mir hielt den Blick auf seine Hände gesenkt. Sein Getränk stand unbeachtet neben seinem Ellenbogen. Woran dachte er? Warum fand er keinen Schlaf? Es gab tausend Möglichkeiten.
Ich war müde. So müde. Aber schlafen konnte ich nicht.
Der Wirt schwenkte mein Glas im Kreis. Goss weitere Spirituosen hinzu. Schwenkte das Glas erneut. Ein Schwindelgefühl überkam mich. Wie sich die verschiedenen Farben mischten... umherwirbelten, ineinander übergingen, immer schneller – bis sie schließlich zu einer einzigen, undefinierbar braunen Flüssigkeit wurden.
Wie macht er das, dieses Herumschwenken, dachte ich, wie macht er das bloß, ohne dass etwas überschwappt?
Mit einem Nicken stellte der Wirt das Getränk vor mich auf den Tisch. Unschlüssig sah ich darauf hinunter. Nahm einen Schluck. Es schmeckte widerlich. Scharf und bitter und brannte in der Kehle. Es war, als hätte er mir mein Leben in einem Glas vorgesetzt. Die Zutaten passten nicht zusammen.
Ich war erschöpft. So angestrengt von etwas, das ich überhaupt nicht gemacht hatte. Doch der Schlaf wollte mich nicht erlösen.
Das Getränk hätte ich einfach zurückgehen lassen können. Ich hätte es nicht austrinken müssen. Aber das Leben...
Es war spät.
Zu spät.
Die Kurzgeschichten sind im Rahmen einer produktionsorientierten Unterrichtsstunde im Rahmen des Unterrichtsreihe "Kommunikation – Bedingungen gelingender und misslingender Kommunikation in Alltagssituationen" entstanden. Die Schülerinnen und Schüler verfassten auf Basis von Edward Hoppers Ölgemälde "Nachtschwärmer" (1942) im ersten Schritt einen inneren Monolog aus Sicht einer der dargestellten Figuren. Im Anschluss daran sind beispielhaft die oben dargestellten Kurzgeschichten entstanden.